Hildegard Hammerschmidt-Hummel - Homepage
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Aktualisiert: 17. September 2013 / updated: 17 September 2013

Interviews / Interviews

Peter Zudeick, „Viel Lärm um Sein oder nicht sein – Shakespeare ist wieder da“, hr2-kultur, „Der Tag“ (10. November 2011) –
www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=14224
Beiträger: Roland Emmerich (Regisseur von Anonymus. William Shakespeare Revealed), Kurt Kreiler (für die Oxfordianer) und Hildegard Hammerschmidt-Hummel (für die Stratford-Fraktion) und andere- Ausschnitt

Peter Zudeick
Hr2 Der Tag. Wer war William Shakespeare? Einen Oxfordianer haben wir eben gehört. Jetzt soll natürlich auch die Stratford-Fraktion zu Wort kommen. Prof. Hildegard Hammerschmidt-Hummel hat zuletzt an der Universität Mainz Englische Literatur- und Kulturwissenschaft gelehrt, einiges über Shakespeare veröffentlicht in Englisch und in Deutsch. Frau Prof. Hammerschmidt-Hummel haben Sie den Film von Roland Emmerich gesehen?
HHH
Ja, ich habe den Film gesehen …
Peter Zudeick
Was sagen Sie?
HHH
Ich sage, dass ich recht angetan war. Emmerichs Film besticht durch seine opulente Ausstattung, betörende Bildsequenzen und spektakuläre Liebesabenteuer, wobei doppelter königlicher Inzest kein Tabu ist. Alles dies - und eine hochspannende Handlung auf mehreren Zeitebenen – dient aber der Vermittlung eines besonderen Anliegens. Der Film wirbt nämlich – und das wird sehr deutlich am Anfang und am Ende durch einen Stage Manager, den berühmten Derek Jacobi, er wirbt vehement um Akzeptanz der Oxford-These, die besagt: der extravagante Adelige Edward de Vere, Graf von Oxford, … sei der wahre Urheber der Werke William Shakespeares und dieser nur dessen windiger Strohmann.
Peter Zudeick
Gut. Wir wissen nun, dass Sie gegen diese These sprechen. … Was spricht denn für die These, dass William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon der große Schriftsteller und Bühnenautor William Shakespeare war?
HHH
Zunächst ist zu sagen: … William Shakespeare hatte etwas zu verbergen, was bisher nicht so bekannt war. Denn er war ein heimlicher Anhänger und Verfechter der unter Elisabeth I. blutig verfolgten katholischen Religion. Er hatte seine akademische Ausbildung in einem katholischen englischen Kolleg auf dem Kontinent erhalten und in seinen Stücken – und das ist sehr sehr wichtig – auf das große, aber heikle Thema des englischen Religionskonflikts seit Heinrich VIII. angespielt. Aber er spielt auch auf die bedeutendsten Vertreter des englischen Exilkatholizismus an, die in seiner Zeit steckbrieflich gesucht wurden oder bereits als Verräter hingerichtet worden waren.
Peter Zudeick
Mit dieser These, dass Shakespeare ein katholischer Rebell war, haben Sie natürlich die Gegenthese, er könne gar nicht so gebildet und belesen gewesen sein als einfacher Handschuhmachersohn aus Stratford, beseite geschafft. Bloß gibt es Belege dafür, dass er tatsächlich eine akademische Ausbildung hatte?
HHH
Dafür gibt es Belege und eine Reihe von Indizien, dass er just in dieser Zeit [1578-80] in Reims bzw. Douai gewesen ist, dass sein Vater große Vermögensteile … freigesetzt hat, um seinem Sohn das zu ermöglichen. Und es gab eine Achse zwischen Reims bzw. Douai und Lancashire, wo Shakespeare dann als illegaler katholischer Lehrer eingestellt wurde. Das ist alles sehr gut belegt. Belegt sind natürlich auch seine Rom-Reisen. Aber was vielleicht ganz wichtig ist, ist, dass es unzählige zeitgenössische Zeugnisse gibt, die die Verfasserschaft William Shakespeares an den unsterblichen Dramen schriftlich belegen – im Unterschied zu dem, was Herr Kreiler behauptet hat. Und nur deshalb, weil William Shakespeare, der Stratforder Bürgersohn mit adeligen Wurzeln, der absolut unbestrittene Urheber eines einzigartigen literarischen Werks war und von seinen Zeitgenossen hochverehrt und umjubelt wurde, durfte ihm unmittelbar nach seinem Ableben offiziell ein zeittypisches Dichter- und Gelehrten[grab]denkmal errichtet werden. Und dieses Monument enthält seine realistisce Grabbüste, die Insignien seiner Kunst und rühmende Inschriften seiner unvergleichlichen literarischen Leistungen. Und von ebensogroßer Bedeutung ist die 1623 edierte erste Werkausgabe, die unzählige Huldigungen enthält und der ein authentischer und bestätigter Porträtstich vorangestellt wurde, der (wie damals üblich) – und das ist wiederum besonders wichtig – den Zweck hatte, die Werk-Autor-Identität für die Nachwelt festzuhalten. Mit anderen Worten: Es wurde gezeigt: Dieser Mann, der so aussieht, hat dieses Werk, das hier veröffentlicht ist, verfasst.
Peter Zudeick
Das hat ja nun zwei Schwierigkeiten, was Sie uns da erzählen. Erstens ist das ja auch umstritten, Ihre These, dass er ein katholischer Rebell war und eben diesen akademischen Ausbildungsgang hat gehen können. Zum zweiten aber, die Tatsache, dass William Shakespeare als William Shakespeare gelobt und gehuldigt worden ist, heißt ja noch nicht, dass hinter William Shakespeare jemand ganz anderer gestanden haben könnte.
HHH
… die These, dass Shakespeare heimlicher Katholik war und in Douai bzw. Reims ausgebildet wurde und in Rom war, das ist inzwischen längst akzeptiert von führenden Shakespeare-Forschern auch in England. Ich habe im März diesen Jahres im altehrwürdigen Venerable English College, dem Collegium Anglicum in Rom, wo Shakespeare in den ‚lost years‘ [1585-92] gewesen ist, einen Vortrag gehalten. Das war eine sehr schöne Anerkennung. … schon in den 1590er Jahren werden … [Shakespeares] Komödien, Tragödien und Historien als herausragend und einzigartig gerühmt. Die wichtigste Quelle wurde 1598 von einem Geistlichen, Francis Meres, veröffentlicht. In ihr – und das ist jetzt sehr bedeutsam – wird Shakespeare insgesamt neunmal mit den Titeln seiner bis dahin erschienenen Werke genannt, andere elisabethanische Autoren nur fünf- oder viermal, Christopher Marlowe zweimal und der Graf von Oxford nur einmal, und zwar als Autor von Komödien. Das sind Quellen, die ganz eindeutig die Autoren benennen, ihre Werke nennen. In ihnen sind – neben Shakespeare, der als der herausragendste Autor gekennzeichnet wird, auch die anderen genannt, unter anderem der Earl of Oxford als Autor von Komödien.
Peter Zudeick
William Shakespeare ist William Shakespeare, sagt die Anglistin und Stratfordianerin Prof. Dr. Hildegard Hammerschmidt-Hummel.

Aldo Parmeggiani (Interview mit Hildegard Hammerschmidt-Hummel), ‘William Shakespeare - Ein heimlicher Katholik?’, ‘Aktenzeichen’, RADIO VATIKAN (18. September 2011) - de.radiovaticana.va/news/2011/09/18/aktenzeichen:_william_shakespeare_-_ein_heimlicher_katholik/ted-521625

Philipp von Zabern, „Interview mit der Shakespeareexpertin Hildegard Hammerschmidt-Hummel zum Todestag des Dichters“ - http://www.verlagvonzabern.de/beitrag/Ein_Sommernachtstraum/18688

„Ten minutes with ... Hildegard Hammerschmidt-Hummel“, Family History Monthly No. 151 (Christmas 2007), p. 12.

Interview mit Hildegard Hammerschmidt-Hummel am 9. Mai 2006 anläßlich der Veröffentlichung ihren Buchs Die authentischen Gesichtszüge William Shakespeares. Die Totenmaske des Dichters und Bildnisse aus drei Lebensabschnitten (Hildesheim: Verlag Olms, 2006)
- Das Interview wurde zum Abdruck in Ibykus. Zeitschrift für Poesie, Wissenschaft und Staatskunst. angenommen
Die Fragen stellten Muriel Weißbach-Mirak und Elisabeth Böttiger.

Interview “’Die Religion ist der Schlüssel zu seinem Leben und Werk’. Wissenschaftlerin zu ihrer These vom Katholiken Shakespeare”, Katholische Nachrichtenagentur (KNA) 52 (1. Juli 2003) (Interviewer: Monika Lissok).


“William Shakespeare. Dichter und Rebell aus dem katholischen Untergrund. Ein Gespräch mit Hildegard Hammerschmidt-Hummel”, Ibykus. Zeitschrift für Poesie, Wissenschaft und Staatskunst (4. Quartal 2001), S. 44-51 (Interviewer: Muriel Mirak-Weißbach und Elisabeth Böttiger, Interviewte: H. Hammerschmidt-Hummel.


“Interview mit Prof. Dr. med. Peter Berle am 17. Oktober 1999”,
Anglistik. Mitteilungen des Deutschen Anglistenverbandes
(September 2000), S. 155 - 158.
Mit 1 Abb. (Frankfurter Buchmesse, Interviewer: H. Hammerschmidt-Hummel)


Interview in : Focus (6. September 1999)“‘Ich glaubte es selbst kaum’ - Interview mit der Entdeckerin der ‘Dark Lady’”,
Focus (6. September 1999), S. 178:


“Interview mit:
Prof. Dr. med. Wolfgang Hach am 17. Oktober 1999”, Anglistik. Mitteilungen des Deutschen Anglistenverbandes (September 2000), S. 159 - 160 (Frankfurter Buchmesse - Interviewer: H. Hammerschmidt-Hummel)
 

Philipp von Zabern, „Interview mit der Shakespeareexpertin Hildegard Hammerschmidt-Hummel zum Todestag des Dichters“

Eine fast schon lebenslange Begeisterung für Shakespeare ist zu spüren, wenn man mit Hildegard Hammerschmidt-Hummel über den englischen Dichter, seine Werke und sein Leben spricht. Im Interview berichtet sie darüber, wie es zu dieser Faszination kam und welche Aspekte sie besonders interessieren:

Frau Prof. Hammerschmidt-Hummel, wie haben Sie Ihre Begeisterung für Shakespeare (getauft am 26. April 1564 in Stratford-upon-Avon, gest. 23. April 1616 ebenda) entdeckt?

Meine Begeisterung für Shakespeare geht auf die Schulzeit zurück. Im Englisch-Unterricht lasen wir Macbeth. Das Stück, die diametral entgegengesetzte Entwicklung seiner Hauptfiguren, seine grandiose Sprache und vor allem seine aufrüttelnde, dem ‘morality play’ des Mittelalters ähnelnde Botschaft, haben mich tief beeindruckt. Ich studierte dann Anglistik und Geschichte in Marburg und hörte u.a. bei dem Shakespeare-Forscher Horst Oppel und den Historikern Karl Christ und Helmut Beumann. Oppel wurde mein Doktor- und Habilvater.

Was hat Sie dazu bewegt, sich so intensiv mit diesem Schriftsteller auseinander zu setzen? Welche Aspekte aus seinem Leben und seinem Schaffen fesseln Sie besonders?

Als ich Anfang der 1980er Jahre mit der Durchführung des DFG- und Akademie-Projekts “Die Shakespeare-Illustration” beauftragt wurde, ging es um Auf- und Ausbau sowie Edition des 1946 von Horst Oppel an der Universität Mainz gegründeten Shakespeare-Bildarchivs. 2003 konnte ich meine dreibändige Print-Version mit über 3000 Abbildungen vor: Die Shakespeare-Illustration (1594-2000) vorlegen. 2008 wurde die vielfach vernetzte Web-Version der unveröffentlichten Bestände des Archivs mit über 8400 Bilddateien als neue Forschungseinrichtung an der Universitätsbibliothek Mainz öffentlich vorgestellt. Aus meinen Forschungen an Tausenden von bildkünstlerischen Werken zu Shakespeares Dramen ergaben sich - oft durch Zufall - zahlreiche faszinierende neue Fragestellungen: Existieren authentische Bildnisse des Dichters, für die er persönlich Modell saß? Wer war die Geliebte der Shakespeareschen Sonette? Welcher Religion hat Shakespeare angehört? Gibt es Vernetzungen von Zeit, Leben und Werk des Dichters? Und: Wie läßt sich Shakespeare politisch verorten? Um diese Fragen beantworten zu können, habe ich intensive Quellenstudien betrieben, bekannte Quellen immer wieder neu gelesen und in ihrem kulturhistorischen Kontext neu gedeutet, insbesondere aber an Orten gesucht, die vor mir vermutlich noch kein Shakespeare-Forscher zwecks Recherchen betreten hat, beispielsweise im Royal College of Surgeons in London, im Venerable English College in Rom, am ehemaligen Collegium Anglicum in Douai, in zahlreichen englischen Schlössern und Kirchen, darunter Hampton Court und St. George’s Chapel, Windsor Castle. Meine Funde habe ich stets in enger Zusammenarbeit mit Experten ausgewertet: mit dem zuständigen forensischen Sachverständigen des BKA, vielen Medizinern, Botanikern, Physikern, 3D-Ingenieuren, Kuratoren und Restauratoren, Kunst- und Kulturwissenschaftlern, Linguisten und Literaturwissenschaftlern.

Was möchten Sie mit Ihrem Werk dem interessierten Leser vermitteln?

Dass es bei einem breit angelegten und vor allem transdisziplinären Forschungsansatz möglich ist, Neues zu entdecken.

Sie möchten mehr über Shakespeare erfahren? Lesen Sie auch den Beitrag von Frau Professor Hammerschmidt-Hummel über Shakespeares geheime Liebe zu seiner „Dark Lady“ in unserem online-Magazin!

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Interview mit: Family History Monthly No. 151 (Christmas 2007), p. 12.

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Interview mit Hildegard Hammerschmidt-Hummel am 9. Mai 2006 anläßlich der Veröffentlichung ihren Buchs Die authentischen Gesichtszüge William Shakespeares. Die Totenmaske des Dichters und Bildnisse aus drei Lebensabschnitten (Hildesheim: Verlag Olms, 2006)
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Das Interview wurde zum Abdruck in Ibykus. Zeitschrift für Poesie, Wissenschaft und Staatskunst. angenommen

Die Fragen stellten Muriel Weißbach-Mirak und Elisabeth Böttiger.

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Frau Hammerschmidt-Hummel, Sie haben in Ihrem neuen Buch die Identität und Lebensechtheit der Darmstädter Shakespeare-Totenmaske, des Chandos-Porträts, des Flower-Portäts und der Davenant-Büste nachgewiesen. Dabei haben nicht nur historische Quellen neu erschlossen, sondern sich auch neuerer und neuester technischer Verfahren zur Feststellung der Identität bedient, darunter Verfahren des Bundeskriminalamts. Wie kamen Sie dazu?

Alles begann mit meinem langjährigen DFG- und Akademie-Forschungsprojekt ‘Die Shakespeare-Illustration’, der Erarbeitung einer dreibändigen Edition von über 3000 Shakespeare-Illustrationen aus fünf Jahrhunderten auf der Grundlage der Sammlung des Shakespeare-Bildarchivs an der Mainzer Akademie der Wissenschaften, die ich ab Ende 1982 von rund 1600 auf über 7000 Bildwerke aufstocken konnte. Während der Abfassung des einleitenden historischen Überblicks glaubte ich, unter Heranziehung eines authentischen Vergleichsporträts auf der frühesten Illustration zu einem Shakespeare-Stück (Titus Andronicus) aus dem Jahre 1594, den ersten großen Shakespeare-Darsteller, Richard Burbage, erkennen zu können. Daraus ließ sich schließen, daß die Titelrolle wohl von Shakespeare selbst gespielt worden war. Denn zusammen mit Burbage führte er die damals neu formierte Theatertruppe The Chamberlain’s Men an. Mir war klar, daß ich diese kühne These von kompetenter Seite absichern lassen mußte. Denn erfahrungsgemäß werden erst einmal heftige Zweifel angemeldet, wenn es etwas Neues zu Shakespeare gibt. Ich wandte mich daher an den damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamts, dessen Experten für die Identifizierung bildlich dargestellter Personen zuständig sind. Es war nicht ganz einfach, und es bedurfte einer gewissen Wartezeit, bis ich schließlich dem langjährigen BKA-Sachverständigen, Reinhardt Altmann, mein Bildmaterial unterbreiten durfte. Meine These, daß es sich tatsächlich um den Star-Schauspieler der Shakespeare-Truppe handelt, der in der Rolle der von Titus Andronicus besiegten Goten-Königin Tamora abgebildet ist, wurde durch Altmanns gutachterliche Stellungnahme voll bestätigt.
Bei dieser ersten Begegnung wurde der Grundstein für eine weitere fruchtbare Zusammenarbeit gelegt: Es ging um die Echtheitsuntersuchungen für die Shakespeare-Porträts ‘Chandos’ (National Portrait Gallery, London) und ‘Flower’ (Royal Shakespeare Company Collection, Stratford-upon-Avon) und die Darmstädter Shakespeare-Totenmaske in der Universitäts- und Landesbibliothek in Darmstadt. Später kam die Davenant-Büste hinzu, eine Terrakotta-Büste, die in dem noblen Londoner Garrick Club aufbewahrt wird.

Welchen Forschungstand fanden Sie vor und wie sind Sie weiter verfahren?

Gemäß altem Forschungsstand gab es kein einziges authentisches, d. h. nach dem Leben geschaffenes Bildnis William Shakespeares. Die entscheidenden Probleme, die es zu lösen galt, waren (1) die Feststellung der Identität der Dargestellten, (2) der Nachweis der Lebensechtheit, d.h. der lebens- bzw. naturgetreuen Wiedergabe, (3) die Aufarbeitung der bisher lücken- und fehlerhaften Geschichte der Bildnisse, (4) der Versuch, fehlerhafte Zuschreibungen an Künster zu korrigieren und die tatsächlichen Schöpfer der Werke zu ermitteln und (5) der Versuch, die Bildnisse zu datieren.
Eine Grundvoraussetzung meiner Forschungen war allerdings, daß die Künstler der Renaissance ihre Modelle absolut veristisch, d. h. detail- und naturgetreu wiedergegeben haben - und zwar mit allen Krankheitsmerkmalen. Ich habe diese kulturgeschichtlichen Besonderheiten gründlich erforscht und im einleitenden Teil meines Buches Die authentischen Gesichtszüge William Shakespeares anhand zahlreicher Beispiele dargestellt. Die Künstler der italienischen Renaissance arbeiteten - in Anlehnung an die römische Antike (insbesondere an Plinius d. Ä.) - präzise nach dem Leben oder nach Lebend- bzw. Totenmasken. Auf diese Weise entstanden Bildnisse (Büsten, Porträts, Medaillen etc.), die das Aussehen der lebenden oder verstorbenenen Individuen exakt wiedergeben. Auch die Büsten der Grabdenkmäler waren streng veristisch. Für Gelehrte und Dichter bildete sich sogar  ein eigener Grabdenkmaltyp heraus: Die sitzende Halbfigur in einer Wandnische - versehen mit den Zeichen ihrer einstigen Profession - und einer Inschrift, in der die Leistungen des Verstorbenen gerühmt wurden. Den gedruckten Werken von Autoren gab man im 16. Jahrhundert authentische Porträtstiche bei. Die ihnen beigefügten Verse bestätigten die Gesichtszüge der Abgebildeten, aber auch die Urheberschaft ihrer Werke. Text und Bild garantierten die ‘Werk-Autor-Identität’.
Alles dies trifft in besonderer Weise auch für die von mir untersuchten Bildnisse Shakespeares zu. Als Ausgangsbasis der Bildvergleiche haben zwei Wiedergaben des Dichters gedient, die zwar nach seinem Tod entstanden, aber bestätigte, exakte Abbildungen seiner Person sind: die Grabbüste Shakespeare in der Kirche zu Stratford und der Porträtstich in der ersten Werkausgabe.
Das Shakespearesche Grabmonument hat alle Ingredienzien eines tpyischen Dichter-Grabdenkmals jener Zeit: eine naturgetreue Büste, Feder und Papier, die Zeichen der Profession des Verstorbenen und vor allem rühmende Inschriften. Der Kopf der Büste, speziell das Gesicht, wurde ebenfalls nach einer Totenmaske geformt. Wie nun feststeht, war es die Darmstädter Shakespeare-Totenmaske. Die Büste des Shakespeareschen Grabmonuments ist im Verlaufe ihrer Geschichte, vor allem während des englischen Bürgerkriegs im 17. Jahrhundert, stark beschädigt und später notdürftig wieder repariert worden. Es hat sich offenbar um fanatisierte puritanische Bilderstürmer gehandelt, denen der große Theaterdichter Shakespeare besonders verhaßt war. Die gelehrte lateinischsprachige Inschrift unter dieser Büste richtet sich an den gebildeten Besucher. Sie stellt den genialen Autor William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon auf eine Stufe mit den großen Autoritiäten der Antike: Mit Nestor, Sokrates und Vergil. Die englischsprachige Inschrift wendet sich an den allgemeinen Betrachter. Da ich keine deutsche Übersetzung vorfand, habe ich diesen Teil der Inschrift selbst ins Deutsche übersetzt. Sie lautet:

Wandrer, verweil, warum gehst du so rasch nur vorbei?
Lies, wenn du kannst, wen der neidische Tod
an diese Stätte gebracht: Shakespeare,
mit dem Geist und Witz starben,
dessen Name sein Denkmal mehr ziert als kostbarster Schmuck:
Denn alles, was er verfasst und geschaffen,
wird die lebenden Dichter zu seinen Nachahmern machen.

Der Porträtstich in der First Folio Edition von 1623, dessen Züge von Shakespeares Dramatikerkollegen und Freund, Ben Jonson, in einem Epigramm als authentisch bestätigt wurden, das man dem Abbild beigab, dient gleichfalls der Feststellung der ‘Werk-Autor-Identität’. Wenn Jonson darüber hinaus erklärt, daß dieses Bildnis jedoch nicht den Geist Shakespeares wiederzugeben vermöge, so war dies nicht nur eine auf die Antike zurückgehende Konvention der Zeit, sondern auch eine besondere Ehrbezeugung gegenüber der Größe des Dargestellten. 
So viel zur kulturgeschichtlichen Einbindung der authentischen Shakespeareschen Bildzeugnisse. Das Grabmonument und der Porträtstich existieren seit nunmehr fast 400 Jahren, und das Denkmal hat seinen Ort in der Kirche zu Stratford nie verlassen.
Meine rund zehnjährigen kulturhistorischen Forschungen und meine ebensolange Zusammenarbeit mit dem BKA-Sachverständigen sowie zahlreichen anderen Experten, darunter Mediziner, Physiker, 3D-Vermessungsingenieure, Archivare und ein Experte für Alte Meister haben ergeben, daß alle vier oben genannten Bildnisse (das Chandos- und Flower-Porträt, die Davenant-Büste und die Darmstädter Shakespeare-Totenmaske) dieselbe Person darstellen, nämlich William Shakespeare, und den Dichter in vier Lebensabschnitten zeigen. Für sie muß Shakespeare persönlich Modell gesessen haben. Die Totenmaske muß von seinem Gesicht abgeformt worden sein. Denn alle angewendeten Verfahren, darunter das Trickbilddifferenzverfahren des BKA, Photogrammetrie, Computertomographie und Laserscanning, sowie alle Montagen und Schnitte zeigten verblüffende Übereinstimmungen der Bildnisse mit den Vergleichsbildnissen, aber auch untereinander. Selbst feinste Details stimmten überein wie beispielsweise die Augenlidränder, die Lidspalten und die Lidplattenanteile des Oberlids. Die Identität der Dargestellten konnte auf diese Weise zweifelsfrei geklärt werden.

Sie haben nicht nur die Identität, sondern auch die Lebensechtheit der Bilder nachgewiesen. Wie sind Sie vorgegangen?

Von entscheidender Bedeutung war hier die Begutachtung durch fünf Fachmediziner, die aufgrund der exakten Wiedergabe der Krankheitssymptome auf den untersuchten Shakespeare-Bildnissen möglich war. Seit Jahrzehnten schon haben die Mediziner, insbesondere die Dermatologen, auf Portraits der Renaissance exakt umschriebene Krankheitsmerkmale diagnostiziert. So wurde auf einem Bildnis Galileis ein Keratoakanthom, ein erbsengroßer Tumor, festgestellt, der im mittleren Patientenalter von ca. 64 Jahren auftritt und nach rund 6 Monaten wieder verschwindet.
Nachdem ich auch auf den Bildnissen Shakespeares auffällige krankhafte Veränderungen bemerkt hatte, etwa eine starke Schwellung am linken Oberlid, eine Schwellung im linken inneren Augenwinkel und eine kreisrunde erhebliche Schwellung auf der Stirn, ließ ich diese von Fachmedizinern begutachten. Diese diagnostizierten das sogenannte Mikulicz-Syndrom, eine Erkrankung der Tränendrüsen, einen Karunkeltumor und - anhand einer starken Schwellung auf der Stirn in Verbindung mit Mikulicz-Syndrom und Karunkeltumor - eine systemische Sarkoidose, die - nach jahrelangem Verlauf - zum Tode führt.
Diese Krankheitsmerkmale stellen sich auf den untersuchten Bildern in unterschiedlichen Stadien dar. Mit zunehmendem Alter sind die Schwellungen gewachsen - auch die Schwellung im linken inneren Augenwinkel, die zum Zeitpunkt des Todes dick und dreilappig ist, wie ich durch Zufall auf einer alten Marmorkopie der Grabbüste herausfand. Ich habe dann die Totenmaske an dieser Stelle noch einmal untersuchen lassen. Denn diese hat ja als Vorlage für die Grabbüste gedient. An der Maske konnten - mittels Photogrammetrie - die Krater dieser dreilappigen Schwellung sichtbar gemacht werden. Dies war ein zusätzlicher, unabhängiger Beweis für die Echtheit der Darmstädter Shakespeare-Totenmaske. Laut Auskunft der Mediziner war Shakespeare über viele Jahre hinweg ein kranker Mann. Aufgrund der mezinischen Befunde läßt sich nun schließen, daß der Dichter seine glänzende literarische Karriere in London wohl aus schwerwiegenden Krankheitsgründen vorzeitig beendet hat und möglicherweise an seiner schleichenden systemischen Erkrankung im Alter von nur 52 Jahren gestorben ist. In einer Quelle des 17. Jahrhunderts - es handelt sich um Notizen des englischen Antiquars John Aubrey - habe ich Angaben darüber gefunden, daß Shakespeare tatsächlich an Schmerzen gelitten hat.

Die ersten Ergebnisse liegen bereits länger zurück.

Die ersten Ergebnisse bezüglich der Echtheit des Chandos- und des Flower-Porträts und der Totenmaske konnte ich bereits 1995 der Öffentlichkeit vorstellen. Sie fanden damals ein großes internationales Echo. Bereits ein Jahr später gewährte mir die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein einjähriges Stipendium. Dies war eine schöne, mehr oder weniger offizielle Anerkennung meiner Ergebnisse, die mich sehr gefreut hat, mit der ich so früh gar nicht gerechnet hatte. Ich konnte in dieser Zeit äußerst wertvolle kulturhistorische Studien betreiben, die Geschichte der Bildnisse gründlichst erforschen und sie in ihren kulturgeschichtlichen Zusammenhängen betrachten. Das Forschungsstipendium war mit einem Reisestipendium verbunden, das mir ausgedehnte England-Aufenthalte ermöglichte. Ich bin damals quer durchs Land gefahren, habe Bibliotheken, Museen, Galerien und unzählige englische Kirchen mit Grabdenkmälern aus der Shakespeare-Zeit besucht und bin dabei - oft rein zufällig - auf zahlreiche neue oder neu zu erschließende Quellen gestoßen, die die Lösung vieler offenener Fragen im Zusammenhang mit der Auffindung und der bisher lücken- und fehlerhaft dargestellten Geschichte der Shakespeare-Bildnisse ermöglichten.

Es gab Personen, die der Meinung waren, die Totenmaske sei nicht echt. Zu ihnen gehörten Prof. Stanley Wells, ehemaliger Direktor des Shakespeare Institutes in Stratford-upon-Avon und derzeit Chairman des Shakespeare Birthplace Trust, ebenfalls  in Stratford.

Das ist richtig. Prof. Wells, den ich schon 1996 über die damals vorliegenden Ergebnisse informiert hatte, teilte mir seine Zweifel schriftlich mit: Ihm seien vor Oliver Cromwell (1599–1658) in England keine Totenmasken für Bürgerliche bekannt. Meine Erforschung des kulturgeschichtlichen Kontextes ergab jedoch, daß schon unter Heinrich VII. (1457-1509) die neuen künstlerischen Techniken unter Zuhilfenahme von Totenmasken nach England gelangten. Heinrich VII. hatte  den italienischen Bildhauer Pietro Torrigiano (1457-1528) ins Land geholt und mit der Errichtung seines Grabdenkmals (mit der veristischen Wiedergabe seines Körpers und Gesichts) beauftragt. So ergab es sich, daß auch  in England, und zwar bereits ab dem frühen 16. Jahrhundert und in großer Zahl im späteren 16. und frühen 17. Jahrhundert, Totenmasken als Hilfsmittel der Bildhauer verwendet wurden - insbesondere auch für herausragende Vertreter des Bürgertums, um ihre Gesichtszüge exakt nachzuformen. Die zahlreichen, in meinem neuen Buch publizierten Gegenbeispiele, etwa die Grabskulptur des Diplomaten und Geistlichen John Younge, 1467-1516, des Cornelius van Dun, gest. 1577, eines hohen Beamten unter Heinrich VIII., des Bischofs Giles Tomson in St. George’s Chapel in Windsor Castle (1553-1612), oder des elisabethanischen Dichters Michael Drayton, Westminster Abbey, 1563-1631) entkräften den Einwand von Stanley Wells. Für sie alle - wie für das Grabdenkmal Shakespeares - wurden Totenmasken verwendet, um für die Nachwelt  ein getreues Abbild des Verstorbenen zu schaffen und ihre Leistungen zu rühmen. Dies war der Beginn der Renaissance in England.

Es gab in der Vergangenheit Autoren, die die Echtheit der Maske in Frage gestellt haben.

Das stimmt. Blickt man auf die Geschichte der Maske zurück, so gibt es zwei sozusagen zwei Lager: das Lager der jenigen, die das Objekt nie gesehen, gleichwohl aber negativ geurteilt haben, und das Lager derjenigen, die es - nach sorgfältiger Untersuchung und Prüfung, soweit die damaligen Mittel dies zuließen - zu dem Ergebnis gelangten, die Totenmaske müsse echt sein.
Zu Ersteren gehören der einflußreiche englische Kunsthistoriker Marion H. Spielmann, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Shakespeare-Bildnisse gearbeitet hat. Er hat das Original der Darmstädter Shakespeare-Totenmaske nie in Augenschein genommen; er machte sogar unzutreffende Angaben, indem er behauptete, die Inschrift ”+ Ao Dm 1616” erscheine auf der Rückseite der Maske dreimal. In Wirklichkeit aber wurde sie nur einmal angebracht. Zu diesem Lager gehörte auch der deutsche Totenmaskenexperte Ernst Benkard, der ganz offensichtlich Spielmann folgte und das Original wohl ebenfalls nicht inspiziert hat. Denn er beschreibt das Objekt unzutreffend, wie Kenner der Maske rügten. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts gab auch der namhafte amerikanische Shakespeare-Biograph Samuel Schoenbaum ein negatives Votum ab. Er stütze sich gleichfalls ausschließlich auf ‘die Autorität’ Spielmann und ließ neuere Forschungen aus den 1960er und 1980er Jahren, die Spielmanns Ergebnisse anzuzuweifeln begannen, nicht gelten. Auch Schoenbaum hatte Maske nie gesehen und gab einen falschen Aufbewahrungsort an.
Dem zweiten Lager gehörten unter anderem an: Prof. Richard Owen, Anatomieprofessor am Britischen Museum in London, der deutsche Anatom und Naturforscher Hermann Schaaffhausen von der Universität Bonn, der amerikanische Bildhauer William Page, Direktor der New York Academy of Design, der deutsche Historiker Paul Wislicenus, der deutsche Bildhauer Robert Cauer und der deutsche Literaturwissenschaftler Ernst Gundolf. Sie alle hatten das Original der Maske untersucht und begutachtet.
Prof. Owen war so überzeugt von der Echtheit der Maske, daß er bereit war, sie in den 1860er Jahren für das Britische Museum anzukaufen, hätte Dr. Ernst Becker, der Bruder des inzwischen verstorbenen Finders und Privatsekretär von Prinz Albert, den Beleg erbringen können, auf welchem Weg Shakespeares Totenmaske nach Deutschland gelangt war. Ich hatte im Juni 1995 das große Glück dieses Dokument aufzufinden, und zwar in einer handschriftlichen Familienchronik der reichsgräflichen Familie von Kesselstatt in Sütterlinscher Schrift. Das was schon erhebend. Der junge Graf Kesselstatt selbst, Kunstkenner, späterer Mainzer Domherr und der erste bekannte Eigentümer der Maske, war 1775 in London gewesen, wo er nicht nur die Totenmaske Shakespeares, sondern auch ein Totenbildnis von Shakespeares Dramatikerkollegen und Freund, Ben Jonson, erworben haben muß.
Schaaffhausen legte der ‘Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte’ im September 1873 seine positive kraniologische und physiognomische Begutachtung der Darmstädter Totenmaske vor.
Der bereits hochbetagte William Page, den Ansichten der Maske fasziniert hatten, hatte nur einen Wunsch, das Original persönlich zu sehen, zu vermessen und mit der Grabbüste Shakespeares zu vergleichen. So überquerte er 1874 den Atlantik - immer in Sorge, die große anstrengende Reise nicht zu überleben - und reiste nach Darmstadt, wo er die Maske eine ganze Woche lang gründlichst untersuchte und mit dem Zirkel ihre Maße abnahm, um sie mit der Grabbüste Shakespeares vergleichen können. Trotz festgestellter Differenzen, die er nicht hinreichend zu erklären vermochte, Page kam zu dem Ergebnis, die Maske müsse echt sein. Wenn man in England wüsste, so schrieb er später, welcher Schatz in Darmstadt verborgen liege, man würde alles dafür geben, in seinen Besitz zu kommen.
Auch Wislicenus und Cauer haben die Totenmaske und die Grabbüste mit dem Zirkel vermessen. Auch ihr Urteil lautete, daß es sich um die echte Totenmaske Shakespeares handeln müsse. Aber ebensowenig wie Page konnten sie die Unterschiede überzeugend erklären und keinen Nachweis dafür erbringen, wann und wie die Maske nach Deutschland gekommen war.
Ernst Gundolf hat im Shakespeare-Jahrbuch 1928 eine vernichtende Erwiderung auf die Einwände Benkards publiziert, die er als ”absonderlich” bezeichnet und von denen keiner stichhaltig sei (wie beispielsweise der Einwand, daß die Haare künstlich eingesetzt worden seien). Als Kenner des Originals hob Gundolf besonders hervor, daß alles ”organisch gewachsen” sei, was auch an den Stirnfalten, den Krähenfüßen unter den Augenlidern und der Hautfältelung unter dem Kinn für jedermann sichtbar sei.
Durchgesetzt aber hat sich Spielmann, der keine Untersuchungen vorgenommen hatte. Er veröffentlichte seine Meinung in der Encyclopaedia Britiannica des Jahres 1911. Damit wurde sie sozusagen gültige Lehrmeinung. Schoenbaum akzeptierte sie als korrekt und ließ nur sie gelten. Der angesehene Kunsthistoriker Spielmann hat - nach meiner Meinung - in puncto Shakespeare-Totenmaske verantwortungslos gehandelt.
Gegen diese am Ende des 20. Jahrhunderts noch immer gültige ‘Lehrmeinung’ mußte ich 1995 mit meinen völlig neuen, auf naturwissenschaftlicher Basis und mit Hilfe von Fachleuten erworbenenen Erkenntnissen ankämpfen und mich gegen sie durchsetzen. Die Tatsache, daß ich diese neuen Erkenntnisse überzeugend in ihre kulturgeschichtlichen Zusammenhänge einbinden konnte, hat zusätzlich noch den nötigen Nachdruck gebracht.

Was ist der Grund für Spielmanns ungewöhnliches Verhalten?

Ich vermute, dass er aus Neid und Missgunst gehandelt hat. Denn damals machte ein bedeutender englischer Literaturwissenschaftler von sich reden, dessen Shakespeare-Biographie 1898 erschienen war und ein Standardwerk wurde. Sein Name ist Sidney Lee. Er war der Mitherausgeber des damals gegründeten Dictionary of National Biography (DNB), für das er zahlreiche Artikel verfaßte. Wegen seiner Verdienste wurde er später geadelt. Dies und die Tatsache, daß Lee als Titelbild für seine Shakespeare-Biographie das damals neu entdeckte Flower-Porträt verwendete, das er für echt und für die Vorlage des Droeshout-Stichs in der ersten Werkausgabe hielt, hat Spielmann offensichtlich mit größtem Unbehagen betrachtet. Denn er wusste, dass der Co-Editor und eminente Beiträger des DNB sich sozusagen schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt hatte, dass dieses Werk fortgeschrieben werden würde (was ja auch der Fall war) und Lee großen Ruhm bringen würde. Geärgert hat Spielmann wohl insbesondere, daß Lee sich als Literaturwissenschaftler anmaßte, über die Echtheit des neu entdeckten Flower-Porträts zu urteilen. Er, der Kunsthistoriker, hat dann alles darangesetzt, ”nachzuweisen”, daß das Flower-Porträt nach dem Stich entstand und nicht umgekehrt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Spielmann unbedingt zeigen wollte, daß dieses Bild erst nach 1623 gemalt worden sei und damit kein Porträt aus der Lebenszeit des Dichters sein könne. Er hat ein langes, ziemlich ermüdendes Buch vefaßt: The Title-Page of the First Folio of Shakespeare’s Plays (1924), in dem jedoch keine überzeugenden Argumente vorgelegt wurden. Spielmanns These von der Priorität des Stiches aber wurde akzeptiert - ähnlich wie seine These, daß die Darmstädter Shakespeare-Totenmaske nicht echt sei. Nur einer der englischen Shakespeare-Forscher - es war Edgar Fripp, Autor des eminenten Werks Shakespeare. Man and Artist (1938) -  wagte vierzehn Jahre später, wenngleich nur in einer Fußnote, zu widersprechen. Dort nahm Fripp kein Blatt vor den Mund und teilte mit, daß alles, was Spielmann über die Reihenfolge von Stich und Gemälde ausgeführt habe, ihn vom genauen Gegenteil überzeuge. Ich glaube, daß sich am Fall Spielmann verdeutlichen läßt, in welchem Ausmaß Emotionen wie Neid, gekränkte Eitelkeit etc. den Blick auf die Tatsachen verstellen, falsche Lehrmeinungen etablieren und die Akzeptanz gesicherter neuer Erkenntnisse ganz wesentlich erschweren kann.

Wir kommen nun zur Davenant-Büste. Dies ist eine besonders erfreuliche Entdeckung.

Die Ergebnisse, die ich zur Davenant-Büste vorlegen konnte, sind in der Tat recht erfreulich. Es handelt sich um ein einzigartiges Meisterwerk und zugleich um ein Repräsentationsbildnis, das den Dichter höchst eindrucksvoll und im Detail veristisch wiedergibt - selbst mit allen Krankheitsmerkmalen, sofern nicht im Verlaufe ihrer Geschichte versucht wurde, sie zu beseitigen. Als ich diese Büste das erste Mal sah, wurde ich von ihrer Ausdruckskraft innerlich zutiefst berührt.
Die Davenant-Büste wurde mit allen bereits für echt befundenen Shakespeare-Bildnissen (Chandos-Porträt, Flower-Porträt und Totenmaske) verglichen, aber auch mit den beiden Arbeiten, die 1995 als Ausgangsbasis gedient hatten (Grabbüste und Kupferstich). Es wurden die neuesten eingangs genannten technischen Verfahren eingesetzt - immer mit demselben Ergebnis der verblüffenden Übereinstimmung. Der BKA-Experte Reinhardt Altmann legte sogar den Schnitt durch das linke Auge der Davenant-Büste und kombinierte es mit demjenigen des Chandos-Porträt und des Flower-Porträts. Es stimmten selbst die feinsten Details der Lidspalte und der Lidfalten überein. Diese Stellen kennzeichnete der BKA-Experte in seinem Bildgutachten durch rote Pfeile.
Der Künstler der Davenant-Büste muß nach einer Lebendmaske gearbeitet haben, um Kenntnis von solchen Besonderheiten des Shakespeareschen Gesichts zu erhalten. Aber Shakespeare muß ihm auch Modell gesessen und ihm in die Augen gesehen haben, weil selbst eine Lebendmaske, deren Augen geschlossen sind, ihm nicht hätte sagen können, was sich im linken inneren Augenwinkel verbarg, nämlich jene ausufernde dreilappige Schwellung, deren Spuren noch heute sichtbar sind. Diese Schwellung dürfte vom Finder William Clift bereits im 19. Jahrhundert beseitigt worden sein. Die Konturen dieses Augenwinkels zeugen ebenfalls davon, daß sich in diesem Bereich einmal ein größerer Körper befunden haben muß, der Ober- und Unterlid wegdrängte. Solche Details konnte der Bildhauer nur kennen, wenn er den lebenden Shakespeare vor sich hatte.
Man hat bisher vermutet, dass diese Arbeit von dem in London lebenden französischen Bildhauer Louis François Roubiliac (1705–1762) stammt. Roubiliac scheidet jedoch aufgrund der nun vorliegenden Ergebnisse aus. Die Davenant-Büste zeigt - wie der medizinische Experte für den kranken Gesichtsausdruck, Prof. Michael Hertl, festgestellt hat - einen ca. 50jährigen Mann. Im Jahre 1613, als Shakespeare 49 Jahre alt war, kehrte ein junger englischer Künstler nach London zurück, der sieben Jahre bei dem holländischen Bildhauer und Baumeister Hendrick de Keyser gelernt hatte und zum bedeutendsten englischen Bildhauer des 17. Jahrhunderts aufstieg: Nicholas Stone (1586–1647). 1613 hat Shakespeare alle seine Angelegenheiten in London geregelt: er verkaufte seine Anteile am Globe Theatre, erwarb ein Torhaus in Blackfriars in London, bei dem es sich um die heimliche Anlaufstelle für flüchtige katholische Priester handelte, fuhr ein letztes Mal nach Rom, um sich dann ganz nach Stratford zurückzuziehen. In diesem Jahr könnte er bei Stone diese ausdrucksstarke Terrakotta-Büste in Auftrag gegeben haben.
Bei dem eingangs bereits erwähnten John Aubrey finden sich auch Angaben über Shakespeares äußere Erscheinung und seinen Intellekt. Es heißt, der Dichter sei ”ein gutaussehender, wohlgeformter Mann” von ”schlagfertigem und geschliffenem Witz” gewesen. Die Davenant-Büste bestätigt dieses Urteil nun auf eindrucksvolle und überzeugende Weise. Sie vermittelt uns ein faszinierendes Gesamtbild vom Aussehen, der Intellektualität und Persönlichkeit William Shakespeares..

Frage: Nachdem Sie alle diese Ergebnisse hatten, kommt eine Ausstellung, die alles in Frage stellt. Ich habe hier einen Zeitungsartikel aus der Financial Times vom 6. März 2006, in dem über die Ausstellung ”Searching for Shakespeare” in der National Portrait Gallery in London berichtet wird. Dort heißt es, dass das Flower-Porträt nicht echt ist.

Die in der Ausstellung der National Portrait Gallery in London vom 2. März bis zum 29. Mai 2006 vorgestellten neuen Forschungsergebnisse sind leider sehr unbefriedigend und halten einer Überprüfung nicht stand. Sehr irritierend ist, daß die zuständige Kuratorin, Dr. Tarnya Cooper, mündlich und schriftlich zu Protokoll gegeben hat (etwa dem in Edinburgh erscheinenden Scotsman am 23. Februar 2006), die meisten Porträts der Shakespeare-Zeit sähen einander sehr ähnlich, was natürlich einfach den Tatsachen widerspricht. Ein Gang durch die National Portrait Gallery (16. und 17. Jahrhundert) verdeutlicht dies sehr anschaulich. Gerade in der Renaissance wurde - wie ich schon hervorhob - absolut veristisch, das heißt lebensgetreu gemalt mit allen pathologischen Veränderungen. Das gilt - wie mein neues Buch zeigt - auch für William Shakespeare.
Tarnya Cooper hat sechs Bildnisse untersuchen lassen: das Chandos-Porträt, das Grafton-Porträt, das Sanders-Porträt, das Flower-Porträt, das Janssen-Porträt und das Soest-Porträt. Tarnya Cooper ließ Röntgen- und Ultraviolett-Aufnahmen anfertigen und Farbanalysen durchführen. Gemäß ihren Ergebnissen haben fünf Porträts den Test nicht bestanden. Nur das Chandos-Porträt könne als echter Shakespeare in Betracht gezogen werden. Das aber ist kein neues Ergebnis.
Beim Chandos-Porträt war bisher der wichtigste Punkt ungeklärt: die Identität des Porträtierten. Dies hat der ehemaliger Direktor der National Portrait Gallery, Sir Roy Strong, in seinem Standardwerk The English Icon: Elizabethan & Jacobean Portraiture (1969) klar konstatiert. Es ist ganz erstaunlich, daß Tarnya Cooper diese Frage überhaupt nicht behandelt hat. Daß es sich aber tatsächlich um Shakespeare handelt, wurde durch die zahlreichen Verfahren zur Identitätsfeststellung eindeutig geklärt, deren Resultate in meinem neuen Buch mit allen Bildbelegen dargestellt werden.
Das Flower-Porträt ist laut Cooper eine Fälschung des 19. Jahrhunderts. Dieses neue Testergebnis widerspricht den Ergebnissen meines Buches Die authentischen Gesichtszüge William Shakespeares. In einem Zusatzkapitel dieses Buches, in dem ich Kopie und Original des Flower-Porträts sowie einzelne Ausschnitte beider Bilder einander gegenüberstelle, konnte ich diesen Widerspruch in klar verständlicher Weise aufklären, und zwar in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Sachverständigen des Bundeskriminalamts sowie einem namhaften Experten für Alte Meister. Daher bleibe ich bei meiner Feststellung, daß es sich bei dem von der erfahrenen Restauratorin Nancy Stocker (Ashmolean Museum, Oxford) im Jahre 1979 restaurierten Flower-Porträt (1609) um ein echtes, detailgetreues Bildnis handelt, für das William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon persönlich Modell gesessen haben muß.
Bereits zwei Jahre vor Beginn der Ausstellung hatte ich von dem Ausstellungs-Projekt Kenntnis, auch davon das das Flower-Porträt gestestet und ausgestellt werden sollte. Ich habe damals dem Kurator der Royal Shakespeare Company Collection in Stratford-upon-Avon, David Howells, mitgeteilt, daß das sich das seit einigen Jahren in der dortigen Galerie ausgestellte Flower-Porträt von dem von mir 1996 inspizierten und mehrfach veröffentlichten Original des Flower-Porträts sehr deutlich unterscheidet. Ich informierte ihn über die Expertengutachten, die ich in dieser Sache eingeholt hatte. Der Sachverständige des BKA war nach gründlicher Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, daß es sich bei dem seit einigen Jahren in Stratford ausgestellten Flower-Porträt um eine Kopie handeln muß.
Aus diesem Grund habe ich eindringlich davor gewarnt, dieses Bild in den Laboratorien der NPG untersuchen zu lassen. Mr Howells, der mir zuvor schriftlich versichert hatte, daß seit der großen Restaurierung des Flower-Porträts im Jahre 1979 nichts verändert worden sei, versprach, der Portrait Gallery in London diesen Sachverhalt mitzuteilen. Ganz offensichtlich ist dies von der zuständigen Kuratorin Tarnya Cooper aber nicht berücksichtigt worden. Sie ließ die Kopie des Flower-Porträts untersuchen und dann mitteilen, daß die Laboruntersuchungen ergeben hätten, daß es sich bei diesem Bild um eine Fälschung handele.

Was sagen Sie zu den anderen Portäts in der Ausstellung? Sind sie alle echt?

Das Grafton- und das Sanders-Porträt hätten von vornherein ausscheiden müssen, da ihre Gesichtszüge denen der bestätigten Shakespeare-Bildnisse eklatant widersprechen. Als ich vor das Grafton-Porträt vor einigen Jahren dem BKA-Experten Altmann vorlegte, winkte dieser wegen der völlig verschiedenen Nasen sogleich ab, so daß sich alles andere erübrigte. Im Fall des Sanders-Porträts hat er sich nach Anwendung der Spezialverfahren des BKA gutachterlich geäußert, und die Identität mit den bestätigten Wiedergaben Shakespeares eindeutig verneint. Für das Janssen-Porträt, von dem Tarnya Cooper meint, es sei das Bildnis eines unbekannten Gentleman, möglicherweise Thomas Overbury (1581-1613), wurde von Altmann ebenfalls gründlich getestet. Es weist - wie das angewendete Trickbilddifferenzverfahren zeigt - ganz erstaunliche Übereinstimmungen mit der Darmstädter Shakespeare-Totenmaske auf und könnte, so der Experte, anerkannt werden, wenn nähere Angaben über seine Herkunft und Geschichte gemacht werden könnten, die die Testergebnisse Ergebnisse bestätigen.

Frau Professor Hammerschmidt-Hummel, wir bedanken uns für das Gespräch.

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Shakespeare Köpfe


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Interview “’Die Religion ist der Schlüssel zu seinem Leben und Werk’. Wissenschaftlerin zu ihrer These vom Katholiken Shakespeare”, Katholische Nachrichtenagentur (KNA) 52 (1. Juli 2003) (Interviewer: Monika Lissok).

Hildegard Hammerschmidt-Hummel, Mainzer Literaturwissenschaftlerin, ist davon überzeugt, dass die Religion der Schlüssel zum Verständnis von Leben und Werk des Dichters William Shakespeare(1564-1613) ist. Ihre These, dass der englische Nationaldichter engagierter Katholik und für die damals in England verbotene und verfolgte katholische Kirche im Untergrund tätig gewesen sei, erläuterte sie am Freitag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

KNA: Frau Professor Hammerschmidt-Hummel, Ihre These vom heimlichen Katholiken Shakespeare ist nicht neu. Neu sollen aber laut Verlagsmitteilung ”Text- und Bildbelege” sein, die Sie dafür in Ihrer jetzt erschienenen Shakespeare-Biographie präsentieren. Was sind das für Belege?

Hammerschmidt-Hummel: Wiederholt wurde schon vermutet, Shakespeare sei Katholik gewesen. In meinem Buch Die verborgene Existenz des William Shakespeare (2001) habe ich erstmals umfassend den Beweis geführt, dass der Dichter sich zum katholischen Glauben bekannte und im Geheimen für ihn eintrat. Dabei stellte sich heraus: Shakespeare wurde in ein katholisches Umfeld hineingeboren. Seine Eltern, Verwandten, Lehrer und Freunde waren heimliche Katholiken mit Kontakten zu den jesuitischen Missionspriestern. Sein Vater John Shakespeare mußte sich als Verweigerer des anglikanischen Gottesdienstes und Abendmahls verantworten, und er besaß ein schriftliches katholisches Glaubensbekenntnis, was ihn zum Hochverräter machte. Einer der wichtigsten Beweise für das Engagement des Dramatikers im damals in England verbotenen Katholizismus ist ein Dokument, das seinen Kauf des östlichen Torhauses von Blackfriars in London im Jahre 1613 belegt. Dieses Torhaus war die geheime Anlaufstelle für verfolgte Katholiken. Durch einen Treuhändervertrag juristisch abgesichert, wurde die Nutzung des Torhauses auch über Shakespeares Tod hinaus sicher gestellt.

Zu den neuen Belegen gehört eine Textstelle in der autobiographischen Schrift Groatsworth of Wit des Londoner Dramatikers Robert Greene, die bislang in ihrer Bedeutung nicht erkannt wurde. In ihr wird Shakespeares Tätigkeit in der Zeit von 1585 bis 1592, in den sogenannten verlorenen Jahren, beschrieben. Über diesen Zeitraum im Leben des Dichters war bisher nichts bekannt. Wie diese, von mir erstmals im religionspolitischen Kontext der Zeit erschlossene Quelle aus dem Jahre 1592 offenbart, war Shakespeare in dieser Zeit ”ein absoluter Vermittler im Dienst der Priester”. In dem bisher unbeachtet gebliebenen Schriftzeugnis “L’Envoy to Narcissus” des elisabethanischen Autors Thomas Edwardes aus dem Jahre 1595 wird von Shakespeare gesagt, er “unterscheide sich sehr von seinen Mitmenschen” und er ”schlage seine Zelte unter Klosterdächern auf”. Klöster, die zuvor das Erscheiungsbild englischer Landschaften und Städte, vor allem Londons, geprägt hatten, gab es zur Shakespeare-Zeit in England nicht mehr. Sie waren von Heinrich VIII. aufgelöst, zerstört oder zu Adelsresidenzen umgebaut worden Der Dichter kann nur in Klöstern auf dem Kontinent logiert haben.

KNA: Vor allem englische Shakespeare-Forscher sind skeptisch, wenn es um die Religionszugehörigkeit des Dichters aus Stratford geht. Warum?

Hammerschmidt-Hummel: Die Frage nach dem religiösen Bekenntnis eines Autors der frühen Neuzeit ist von besonderer Relevanz. Die Religion spielte eine zentrale Rolle und ist der Schlüssel zu Leben und Werk. Auf Grund werkinterner Hinweise wurde im 19. Jahrhundert vermutet, der Dichter könne Katholik gewesen sein. In der maßgeblichen englischsprachigen Shakespeare-Forschung aber fand dies keine Akzeptanz. Hinweise auf Shakespeares Katholizismus ließ man nicht gelten. So wurde um 1900 sogar die schriftliche Äußerung eines protestantischen Geistlichen aus dem 17. Jahrhundert, Shakespeare sei als “Papist” gestorben, als “müßiges Geschwätz” zurückgewiesen. Aussagen dieser Art waren unerwünscht, drohten sie doch das jahrhundertealte fest gefügte Bild vom protestantischen Nationaldichter Englands zu beschädigen und einen Mythos zu zerstören.

KNA: Mit Hilfe des zuständigen Sachverständigen beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden konnten Sie 2001 nachweisen, dass das kanadische Sanders-Porträt nicht William Shakespeare darstellt. Auf der Basis eines eines BKA-Bildgutachtens aus dem Jahre 1995 gelang Ihnen der Echtheitsnachweis für die Darmstädter Shakespeare-Totenmaske und zwei Porträts des englischen Nationaldichters. Hat Ihnen das BKA auch bei der Aufdeckung der Tätigkeit Shakespeares im katholischen Untergrund geholfen oder wie kamen Sie ihm auf die Spur?

Hammerschmidt-Hummel: Natürlich war das BKA, dessen Unterstützung ich ausschließlich zur Klärung offener Identitätsfragen in Anspruch genommen habe, nicht an meinen Forschungen über Shakespeares Engagement im katholischen Untergrund beteiligt. Hier waren langwierige Studien bekannter und neu zu erschließender Quellen erforderlich, und ich mußte aufwändige Forschungsreisen zu den historischen Schauplätzen in England, Frankreich und Italien unternehmen. Ferner war die Aufarbeitung jener wichtigen Teilbereiche der elisabethanisch-jakobäischen Geschichte unverzichtbar, die in der nachfolgenden englischen Historiographie ausgeblendet und nicht selten bagatellisiert worden waren. Den Anstoß zu meinen Forschungen gab ein Bildnis des Dichters: das Flower-Porträt, unter dem sich - wie eine Röntgenuntersuchung gezeigt hatte - ein wertvolles Madonnenbild aus dem 15. Jahrhundert befand. Marienbildnisse, Rosenkränze, schriftliche katholische Glaubensbekenntnisse andere “katholische” Gegenstände aber waren im protestantischen England verboten und stellten, da sie als Beweismittel für den Katholizismus ihrer Besitzer galten, eine lebensbedrohliche Gefahr dar.

KNA: Warum ist es für Sie so wichtig zu wissen, ob Shakespeare katholisch war?

Hammerschmidt-Hummel: Das Wissen um Shakespeares Katholizismus und sein entschiedenes Engagement im katholischen Untergrund ermöglicht es uns, die Ungereimtheiten seines Lebens besser verstehen zu können. Zum Beispiel, dass der Dramatiker nicht in Oxford oder Cambridge studieren konnte, weil dort jeder Studierende den Suprematseid, den Eid zur Anerkennung der kirchlichen Oberhoheit der englischen Königin, ablegen mußte. Es erklärt, warum wir bisher über seine ”verlorenen Jahre” nichts wußten, warum er seine erste Arbeit als Dichter, “Venus and Adonis”, einem katholischen Patron, dem Grafen von Southampton, widmete, warum er William Cecil, den Ersten Minister Elisabeths I. und Architekten der rigiden antikatholischen Strafgesetze, in Hamlet als Polonius lächerlich macht und wie eine Ratte umkommen läßt, und warum er beim Tod der Königin, der er viel verdankte, keine Zeile des Gedenkens schrieb. Die Tatsache, dass Shakespeare ein engagierter heimlicher Katholik war, ist nicht nur als Hintergrundwissen für die Entstehung seiner Dramen von großer Bedeutung, sondern auch für das Deuten und Verstehen wichtiger Textstellen. Die um 1601 einsetzende große Wende zum Tragischen in Shakespeares Dramen, über deren Ursachen man bisher vergeblich gerätselt hatte, erklärt sich nun vor dem Hintergrund seiner Verwicklung in die atemberaubenden politischen Ereignisse jener Zeit.

Interview: Monika Lissok
SW-2003/VI/1536 - Funk voraus 27.6.2003

Hinweis: Hammerschmidt-Hummel, Hildegard: William Shakespeare. Seine Zeit - Sein Leben - Sein Werk, Verlag Philipp von Zabern, Mainz, 2003, 399 Seiten, 151 Farb- und 97 Schwarzweißabbildungen, 51 Euro.

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Ibykus

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“William Shakespeare. Dichter und Rebell aus dem katholischen Untergrund. Ein Gespräch mit Hildegard Hammerschmidt-Hummel”, Ibykus. Zeitschrift für Poesie, Wissenschaft und Staatskunst (4. Quartal 2001), S. 44-51 (Interviewer: Muriel Mirak-Weißbach und Elisabeth Böttiger, Interviewte: H. Hammerschmidt-Hummel.

“Die Anglistik-Professorin Dr. Hammerschmidt-Hummel hat in der Shakespeare-Forschung für Aufsehen gesorgt. Sie hat zum Beispiel durch akribische, teilweise sogar kriminalistische Untersuchungen den Nachweis über die Echtheit des Flower-Porträts erbracht und bewiesen, daß es sich bei der sogenannten Darmstädter Shakespeare-Totenmaske um das Original handelt. Wichtiger für das Verständnis der Werke Shakespeares und ihrer zeitgeschichtlichen Einordnung ist allerdings ihre Entdeckung, daß dieser als Katholik in der Zeit der Katholikenverfolgungen in England zwischen 1564 und 1616 ein Doppelleben führen mußte. Muriel Mirak-Weißbach und Elisabeth Böttiger sprachen am 2. Juni 2001 mit Frau Hammerschmidt-Hummel.


Ihr kürzlich im Herder Verlag erschienenes neues Buch Die verborgene Existenz des William Shakespeare hat für Aufsehen gesorgt. Die Art und Weise, wie Sie an das Thema herangegangen sind, ist anders als bei normalen akademischen Werken. Wie wurde die Idee sozusagen geboren?
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Die Idee wurde geboren, als ich dabei war, die Ergebnisse meiner Echtheitsprüfungen an vier Shakespeare-Bildnissen sowie die Geschichte dieser Bilder und Büsten in Buchform darzustellen und mich gerade sehr intensiv mit dem sogenannten Flower-Porträt befaßte. Unter diesem Porträt befindet sich ein Madonnen-Bild aus dem 15. Jahrhundert. Das hat den Anstoß für meine Forschungen gegeben. Ein (wenn auch übermaltes) Marienbild zu besitzen, war im protestantischen England gefährlich. Sein Eigentümer setzte sich dem Verdacht aus, Katholik zu sein. Die Frage nach Shakespeares Religion ist nicht neu. Sie mußte aber bisher offen bleiben. Ich habe diese Frage erneut gestellt und den gesamten Komplex noch einmal ganz neu aufgerollt.Dabei hatte ich das große Glück, nicht nur bekannte Quellen neu interpretieren und in ihnen kodierte Passagen entdecken und entschlüsseln, sondern auch ganz neue textliche und bildliche Quellen aufspüren und erschließen zu können. Rein werkimmanent läßt sich die Religion Shakespeares nicht nachweisen. Das haben ganze Forschergenerationen vor mir versucht. Dies ist nur mit externen zeitgenössischen Dokumenten möglich.

Insgesamt konnte ich mehrere historische Quellen ausfindig machen, die für das Leben, die Biographie und die Religion Shakespeares von immenser Wichtigkeit sind. Sie versetzten mich in die Lage, beweisen zu können, daß der Dramatiker Katholik war. Darüber hinaus gelang mir der Nachweis, daß Shakespeare aktives Mitglied im katholischen Untergrund war. Im Testament des katholischen Adeligen Alexander Hoghton aus dem Jahre 1581 wurde William Shakespeare (alias Shakeshafte) nicht nur als Schauspieler und Privatlehrer erwähnt, sondern auch als Mitglied einer dort verdeckt angeführten elfköpfigen Geheimorganisation, offensichtlich einer Unterorganisation der 1580 in Rom gegründeten Catholic Association. Diese diente dem Zweck, die im damaligen England blutig verfolgten Priester der katholischen Kirche zu schützen, vor allem die Priester der englischen Missionsbewegung, die Jesuitenpatres Edmund Campion und Robert Parsons sowie die 50 Priester, die sie begleiteten. Diese Ergebnisse kamen auch für mich überraschend, wußte ich doch, daß englische Shakespeare-Forscher - allen voran E.A.J. Honigmann - sich sehr intensiv gerade mit dem Testament des Alexander Hoghton befaßt hatten, ohne seine Verschlüsselungen zu bemerken. Honigmann befand schließlich, Hoghtons letztwillige Verfügung enthalte exzentrische und unklare Textstellen. Das ist richtig, denn der Katholik Hoghton hatte sich - absichtlich - kryptisch, d.h. kodiert ausgedrückt. Da war etwa von Schauspielern (“players”) die Rede, um deren künftige Unterbringung und Versorgung sich der Testierende ungewöhnlich große Sorgen machte. In Wirklichkeit aber waren mit “players” Priester gemeint. Es war ferner die Rede von “play clothes”, mit denen die Meßgewänder der Priester gemeint waren. Zudem wurde von “instruments belonging to musics” gesprochen. Dies ist auffällig umständlich formuliert. Denn normalerweise würde man “musical instruments” (“Musikinstrumente”) sagen. Gemeint waren ganz offensichtlich die Instrumente, die für das Lesen der Messe benötigt wurden. Da alles dies aber - wegen der Gefahr für Leib und Leben - nicht offen ausgesprochen werden durfte, benutzte der Testierende Kodierungen. Mit dem richtigen Schlüssel ließ sich die eigentliche Bedeutung des Textes erschließen, ließen sich Art und Ziele von Hoghtons geheimer Organisation leicht durchschauen. Alexander Hoghton, so stand nun fest, hatte in seinem Testament Vorkehrungen getroffen, die das Wohlergehen und den Schutz seiner Priester auch nach seinem Ableben sichern sollten.

Die streng hierarchisierte Gruppe mit einem Kopf und drei Rängen (Shakespeare erscheint übrigens in Rang eins) wurde auf höchst komplizierte Weise finanziert. Die Bezahlung der Mitglieder erfolgte ein Leben lang. Durch Treuhänder sorgte Hoghton dafür, daß das System der Beschaffung und Verteilung der Gelder auch nach seinem Tod funktionierte. Alles dies wurde bezeichnenderweise rund ein Jahr nach dem Beginn der jesuitischen Remissionierung Englands (1580) verfügt und war gründlich vorbereitet worden.

Die englischen Missionspriester waren im April 1580 mit dem Segen Gregors XIII. in Rom aufgebrochen. Sie zogen über Mailand, wo sie von dem berühmten Kardinal Carlo Borromeo (1538-1584) die sog. Borromeoschen (bzw. jesuitischen) Testamente erhielten, schriftliche Bekenntnisse des katholischen Glaubens, die sie zu Tausenden in England verteilten. In ihrer Heimat wurden sie von Mitgliedern der Catholic Association in Empfang genommen, bei denen es sich um junge, ortsansässige englische Katholiken handelte, die die Priester begleiteten und schützten und ihre Aufnahme in den Häusern des Landadels vorbereiteten. Sie waren sozusagen ortskundige Pfadfinder. Der Landadel war praktisch durchweg katholisch geblieben. Er gewährte den Priestern heimlich Unterschlupf und nahm insgeheim ihre Seelsorge in Anspruch. Der Catholic Association gehörte auch der junge Charles Bassett an, ein Urenkel von Thomas Morus.

John Shakespeare, der Vater des Dramatikers, hat von Campion oder Parsons ein jesuitisches Testament erhalten und es unterzeichnet. Das ist ein klarer Beweis für seinen katholischen Glauben. Man hat sein Exemplar durch Zufall 1757 wieder aufgefunden, und zwar versteckt im Dachgestühl seines Hauses in der Henley Street in Stratford. Man hielt das Original, das heute nur noch abschriftlich existiert, anfangs für eine Fälschung. Aber davon ist schon lange nicht mehr die Rede. Schon in elisabethanischer Zeit hat man bei Hausdurchsuchungen, die von der Regierung angeordnet wurden, weitere Testamente dieser Art gefunden. John Shakespeare hat sein geistliches Testament wohl im Zusammenhang mit den Razzien versteckt, die nach der Aufdeckung des katholischen Arden-Somerville-Komplotts erfolgten, als viele Mitglieder der Arden-Familie eingesperrt wurden. Das Familienoberhaupt Edward Arden, den man in dieses Komplott hineingezogen hatte, wurde wie ein gemeiner Verbrecher gehängt. Er war ein entfernter Verwandter von Mary Arden, der Mutter von William Shakespeare. Schon dies war Grund genug, das jesuitische Testament verschwinden zu lassen. Denn wer ein solches Schriftstück besaß, galt als Hochverräter.
Was war Ihre Methode? Sie haben mit einer Hypothese gearbeitet und die entsprechenden Belege quasi Stück für Stück erbracht. Wie kamen Sie beispielsweise darauf, anzunehmen, daß Shakespeare in Douai bzw. Reims studiert hat?
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Man muß den Fall des Exilkatholiken William Allen betrachten. Allen, ein ehemaliger Oxforder Universitätslehrer, emigrierte in den 60er Jahren nach Flandern. Er sah das Problem, daß es bald in England keinen Priesternachwuchs mehr geben werde, und gründete 1568 mit Unterstützung des Papstes und des Königs von Spanien in Douai im damaligen Flandern (heute Frankreich) ein katholisches englisches Kolleg, das sogenannte Collegium Anglicum. Diese Ausbildungsstätte bot eine geisteswissenschaftliche Grundausbildung unter katholischem Vorzeichen. Darauf aufbauend war das Priesterstudium möglich. Allens Kolleg war ausgesprochen beliebt und hatte rasch großen Zulauf. Die Söhne aus katholischen Bürger- und Adelsfamilien studierten auch deshalb dort, weil sie dem in Oxford und Cambridge geforderten Supremats-Eid aus dem Weg gehen wollten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das berühmte Beispiel des Thomas Morus, der unter Heinrich VIII. den Suprematseid verweigerte und zum Märtyrer wurde. Elisabeth I. hat die Supremats-Akte wieder in Kraft gesetzt. Elisabethanische Amtsträger, aber auch die Studierenden der beiden Universitäten, mußten diesen Eid schwören. Die katholischen Studierwilligen umgingen ihn, indem sie sich an Allens Kolleg einschrieben.
Shakespeare kam aus einem streng katholischen Elternhaus. Doch nicht nur seine Eltern und Verwandten, sondern auch seine Lehrer bekannten sich zum katholischen Glauben. Schulmeister Simon Hunt, von dem der Dichter vier Jahre lang unterrichtet wurde, trat sein Amt in Stratford just in dem Jahr an, als William 1571 sieben Jahre alt war und das Lateinschulalter erreicht hatte. Er ging 1575 nach Douai und wurde Priester. Der Stratforder Lateinschüler Robert Debdale, Shakespeares Schulkamerad, begleitete ihn und wurde gleichfalls Priester. Hunt ging anschließend nach Rom, wurde Jesuit und 1580, als die jesuitische Remissionierung Englands begann, Nachfolger von Robert Parsons im Amt des englischen Beichtvaters am Stuhl von St. Peter.

Es gibt einen Beleg dafür, daß John Shakespeare als Kämmerer von Stratford-upon-Avon u.a. Gelder an einen Hilfslehrer gezahlt hat, die nicht offiziell in den Büchern standen. Es gibt sogar Anhaltspunkte dafür, daß dieser Hilfslehrer mit William Allen identisch war.

Bei genauerer Betrachtung und Deutung der historisch-biographischen Details stellte ich fest, daß William Shakespeare praktisch nur an William Allens Collegium Anglicum studiert haben konnte. Denn nur dieses Kolleg bot 1578, als William 14 Jahre alt war und damit das College-Alter erreicht hatte, die einzige Studienmöglichkeit für junge englische Katholiken. Da der Dichter in jungen Jahren Schulmeister auf dem Lande war, nämlich - wie nun feststeht - in dem katholischen Adelshaushalt der Hoghtons in Lancashire, muß er ein College besucht haben. In Frage kommt daher nur Allens Kolleg in Doaui, das sich von 1578 bis 1593 in Reims befand.

Im Jahre 1578 verpfändete John Shakespeare einen großen Teil des Vermögens seiner Frau für 40 Pfund. Er brauchte also sehr schnell viel Bargeld. Dieses dürfte er für die kostspielige Ausbildung seines Sohnes auf dem Kontinent verwendet haben. Denn er hat in dieser Zeit keine größere Anschaffung getätigt, und die hohen gesetzlichen Kirchenstrafen (20 Pfund monatlich für das Fernbleiben vom anglikanischen Gottesdienst) fielen erst mit Inkrafttreten des antikatholischen Strafgesetzes von 1581 an. Letzteres war übrigens eine Reaktion der Regierung auf die 1580 begonnene jesuitische Missionsbewegung. 1578 lagen die Strafen noch bei wenigen Schillingen. John Shakespeare hätte dafür nicht einen so hohen Betrag an Bargeld aufnehmen müssen. Es verblüfft, daß er das Geld in der Zeit von 1578 bis 1580 benötigte, also genau für jene zwei Jahre, in denen Williams College-Ausbildung auf dem Kontinent stattgefunden haben muß. 1580 dürfte der Dichter bereits Privatlehrer im Haushalt der Hoghtons in Lancashire gewesen sein, wo er 1581 auch in der oben beschriebenen Funktion testamentarisch besonders hervorgehoben und bedacht wurde.
Es gibt noch einen weiteren wichtigen Punkt: 1580 mußten John Shakespeare und 140 weitere Bürger aus ganz England sich vor einem der drei höchsten Gerichte Englands verantworten und, mit entsprechenden Bürgschaften abgesichert, erklären, den Frieden gegenüber der Königin aufrecht zu erhalten. Bei diesen 140 Personen dürfte es sich um die Väter der Studierenden an Allens Kolleg in Reims gehandelt haben. Es war der englische Botschafter in Paris, der seiner Regierung damals geraten hatte, sich an den Eltern zu rächen, was dann wohl auch geschah. John Shakespeare hat es vorgezogen, nicht zu erscheinen. Ich habe während der Entstehungszeit meines Buches die Diarien von Douai durchgesehen und dabei festgestellt, daß es eine ganze Reihe von Namen gibt, die teilweise oder ganz ausgelöscht wurden. Mehrere Male wurde der Name Guielmus, der latinisierte Name für William, stehen gelassen und nur der Nachname gestrichen. Das betrifft die Jahre 1578 und 1580, in denen William angekommen und exmatrikuliert worden sein muß, es betrifft jedoch auch 1587, das Jahr unmittelbar vor der Armada.

Zwischen Allens Kolleg und den Hoghtons gab es sehr enge Verbindungen. Der Familienchef von Hoghton Tower war Emigrant, lebte in Flandern und war ein enger Freund von Kolleggründer William Allen. Die Vermittlung des jungen Shakespeare nach Lancashire hätte somit auch auf direktem Weg vom Studienort Reims nach Hoghton Tower erfolgen können.
Was hat er in Reims studiert? Der Dramatiker Ben Jonson meinte, Shakespeare habe die klassischen Sprachen nicht beherrscht.
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Ben Jonson hat sich über die angeblich geringen Latein- und Griechischkenntnisse Shakespeares lustig gemacht. Er spricht von “little Latine and lesse Greeke”. Doch hat Jonson niemals bestritten, daß Shakespeare Kenntnisse dieser alten Sprachen hatte. Griechisch aber wurde in der Lateinschule nicht gelehrt. Als Jonson dies sagte, lag Shakespeares Ausbildung viele Jahre zurück. Wichtig ist, daß Shakespeares Werk von akademischer Ausbildung und der Kenntnis der alten Sprachen zeugt. Da der Dichter aber nachweislich weder in Oxford noch in Cambridge studiert hat und Allens Kolleg bisher als Ausbildungsstätte nicht in Betracht gezogen wurde, kam man sogar auf die völlig aus der Luft gegriffene Vermutung, der Bürgersohn aus Stratford-upon-Avon könne das berühmte Werk nicht geschrieben haben.

Interessanterweise nennt Shakespeare in Der Widerspenstigen Zähmung den Studienort Reims, wo ein junger Scholar in Griechisch, Latein und in anderen Sprachen ausgebildet wurde. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf das dortige Collegium Anglicum, zumal es damals in Reims keine Universität gab. Shakespeare spricht hier allem Anschein nach aus eigener Erfahrung. Es ist zudem aufschlußreich, daß der Dichter mit der Nomenklatur der Klassen von Douai (bzw. Reims) vertraut war, und zwar mit den Namen der Klassen des geisteswissenschaftlichen Grundstudiums (“lower studies”), mit “Rudiments”, “Grammar”, “Syntax”, “Poetry” und “Rhetoric”, nicht aber mit denen der “higher studies” (Priesterstudium). Das Gros der Studierenden erhielt in Allens Kolleg lediglich eine geisteswissenschaftliche Grundausbildung. Die Idee, daß auch die katholischen Shakespeares ihren Sohn dort ausbilden ließen, liegt daher sehr nahe. Sie wird unterstützt durch die Bargeldbeschaffung John Shakespeares für genau jene zwei Jahre, die für Williams Ausbildung auf dem Kontinent in Frage kommen.

Und wie haben Sie die Frage der “lost years” gelöst?
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Es gibt sieben Jahre im Leben William Shakespeares (1585-1592), über die wir bisher rein gar nichts wußten und die daher die “lost years” genannt wurden. Ich nenne in meinem Buch eine Reihe von Motiven für Shakespeares Weggang, darunter die Existenz eines jesuitischen Testaments in seinem väterlichen Haus, das mit größten Gefahren verbunden war, die Verwandtschaft seiner Mutter mit den Beteiligten eines katholischen Komplotts, die Ausbildung seines Lateinschullehrers Simon Hunt zum katholischen Priester, Hunts Aufnahme in den Jesuitenorden und seinen Aufstieg zum Pönitentiar am Stuhl von St. Peter in Rom. Ferner das höchst wahrscheinliche Studium des Dichters am Collegium Anglicum, das sich zu dieser Zeit in Reims befand, Shakespeares illegale und geheime Tätigkeit als Lehrer und Beschützer der Priester bei den katholischen Hoghtons in Lancashire, seine mögliche Verbindung zu einer weiteren katholischen Rekusantenfamilie in Lancashire, den Heskeths. Auch der Ausbruch des Krieges zwischen England und Spanien im Jahre 1585 und die Tatsache, daß Stratford dem jungen Shakespeare wohl keine befriedigende Perspektive zu bieten hatte, könnten eine Rolle gespielt haben. Am wichtigsten aber war wohl, daß dem Dichter - als bezahltem Mitglied einer katholischen Geheimorganisation, die die jesuitischen Missionspriester schützte - der Boden unter den Füßen zu heiß wurde und daß jeglicher Kontakt zu den Jesuiten ab 1585 Hochverrat war.

Mir wurde - aufgrund dieser zahlreichen und sich verdichtenden Indizien - immer mehr klar, daß sich der junge Shakespeare in dieser gefährlichen Situation im Februar 1585 auf den Kontinent begeben hat, und zwar nach Reims und Rom, also dorthin, wo er Glaubensgenossen und Freunde hatte. In Rom - und das ist besonders signifikant - fand in diesem Jahr ein Treffen der englischen Exil- und Kryptokatholiken statt, auf dem neue (auch militärische) Strategien der Rekatholisierung Englands entwickelt wurden. Der friedliche Weg der Missionierung war durch die rigide antikatholische Gesetzgebung und die blutige Verfolgung der katholischen Priester praktisch gescheitert. Das Blatt hatte sich 1585 längst gewendet.

Rom hatte im übrigen für die Studierenden von Reims (bzw. Douai), auch die ehemaligen, eine ganz besondere Anziehungskraft. In Rom befanden sich überdies William Allen und Pater Robert Parsons. In St. Peter in Rom lebte und wirkte ferner - wie eingangs erwähnt - Shakespeares Stratforder Lehrer Simon Hunt als jesuitischer englischer Beichtvater.
Als das Buch bereits in der Drucklegungsphase war, habe ich mir eine ganz besonders wichtige historische Quelle in Rom im Original angesehen, und zwar eines der alten Pilgerbücher des dem Englischen Kolleg in Rom angeschlossenen Pilgerhospizes. Es handelte sich um Pilgerbuch Nr. 282 mit Einträgen aus der Zeit von 1580 bis 1656, also auch aus der Zeit der “verlorenen Jahre”. Dieses Hospiz war viel älter als das Kolleg selber. Es wurde bereits im frühen Mittelalter gegründet. Dort logierten praktisch alle englischen Pilger und Rom-Reisenden - auch Protestanten und Puritaner (wie etwa John Milton) sowie Spione der englischen Regierung. Bereits im März 2000 hatte ich Rom besucht und mir das gesamte Kolleg zeigen lassen. Die entscheidende Quelle aber konnte ich erst - nach längerer Voranmeldung - im Oktober 2000 einsehen. Zu meiner großen Überraschung fand ich dort bekannte und vertraute Namen, wie z.B. denjenigen des Gründers des Collegium Anglicum in Douai - William Allen - , denjenigen des Urenkels von Thomas Morus, Charles Bassett, der ein Mitglied der Catholic Association war. Ich fand ferner den Namen des abtrünnigen katholischen Priesters, der Maria Stuart später im Zusammenhang mit dem Babington-Komplott ans Messer lieferte: Anthony Tyrrell. Der Renegat Tyrrell verriet sein Wissen an William Cecil, Lord Burghley, den engsten Berater Königin Elisabeths I. Viele andere englische Rom-Reisende aber benutzten Pseudonyme, so wie sich auch zahlreiche Studierende an William Allens Kolleg in Douai bzw. Reims unter falschem Namen immatrikulierten. Es handelte sich dabei um Vorsichtsmaßnahmen, weil besonders die katholischen englischen Kollegien stark bespitzelt wurden.
Aufgrund der zahlreichen Indizien, die für einen Rom-Aufenthalt Shakespeares im Jahre 1585 sprachen, hatte ich gehofft, im Archiv des Collegium Anglicum in Rom eventuell einen winzig kleinen, wie auch immer gearteten Hinweis auf die Präsenz des Dichters an diesem Ort und in diesem Jahr finden zu können. Zu meiner großen Verblüffung fand ich in Pilgerbuch Nr. 282 sogar mehrere Einträge für die Zeit der “verlorenen Jahre”, die auf Shakespeare hindeuteten. Sie enthielten das höchst aufschlußreiche Pseudonym “Stratfordus”. Anfang Februar 1585 - nach der Geburt seiner Zwillinge - hatte William Shakespeare seine Heimatstadt Stratford fluchtartig verlassen. Die bekannte Erklärung, dies sei aus Furcht vor Strafe wegen Wilderns geschehen, war wohl nur ein Vorwand, um die oben genannten wahren Gründe zu verschleiern. Der Dichter ist dann erst wieder 1592 nachweisbar, und zwar als beneideter Bühnenautor in London.

Rund 8 Wochen nach Shakespeares Weggang aus Stratford, nämlich am 16. April 1585 gregorianischer Zeitrechnung, ließ sich im Pilgerbuch des Englischen Kollegs in Rom ein gewisser “Arthurus Stratfordus Wigorniensis” eintragen. Dies war für mich ein deutlicher Hinweis auf Shakespeare. Der Dichter, der stets eine besondere Beziehung zu der Stadt hatte, in der er geboren wurde, hatte den Namen seiner geliebten Heimatstadt Stratford, die damals praktisch unbekannt war, als Pseudonym benutzt. Völlig korrekt gab er als Diözese Worcester an und als Vornamen keinen geringeren als den des legendären Königs der englischen Vorgeschichte: Arthur. Mein weiterer Fund stammt aus dem Jahr 1587 und war ein Blending: “Shfordus Cestrensis”. Das “Sh” stand offenbar für Shakespeare und “fordus” als Backclipping für Stratfordus. “Cestrensis” war übrigens der Name der Diözese Chester, zu der die Grafschaft Lancashire gehörte, in der der Dichter von 1580 bis 1582 sein erstes zweijähriges berufliches Engagement im englischen Kryptokatholizismus hatte. Der dritte von mir aufgespürte Eintrag fand sich unter 1589 und lautete: “Gulielmus Clerkue Stratfordiensis”, im Klartext “William, Sekretär aus Stratford”. Ich war verblüfft. Denn dies war ein noch deutlicherer Hinweis auf Shakespeare. Der Besucher aus Stratford, der wenige Jahre später große Berühmtheit erlangen sollte, hatte diesmal nicht nur den Namen seiner Heimatstadt, sondern sogar seinen richtigen Vornamen angegeben und darüber hinaus die Funktion angedeutet, die er damals ausübte. Er war in regelmäßigen Abständen von jeweils zwei Jahren nach Rom gekommen: 1585, 1587 und 1589. Unter 1591 fand ich eine stark beschädigte Seite mit einer ganzen Reihe von runden Löchern und einer Stelle, an der - offenbar schon vor Jahrhunderten - ein ganzer Eintrag komplett mit der Feder herausgestochen worden war. Natürlich läßt sich heute wohl nicht mehr feststellen, welcher Name dort einmal gestanden hat. 1591 ist aber das letzte in den “lost years” in Frage kommende Jahr für einen Rom-Aufenthalt Shakespeares, legt man erneut ein Intervall von zwei Jahren zugrunde.

Für die ungewöhnlich radikale Maßnahme der Namensentfernung muß es einen gewichtigen Grund gegeben haben. Daß es sich um einen Akt der damnatio memoriae, also der Auslöschung der Erinnerung an eine bestimmte Person, durch die Kollegleitung gehandelt haben könnte, ist eher unwahrscheinlich. Denn selbst der Name des abtrünnigen Priesters Tyrrell blieb - wie bereits erwähnt - voll erhalten. Sollte dieser Eintrag (gleichfalls) einen mehr oder weniger deutlichen Hinweis auf Shakespeare enthalten haben, hätte sich vielmehr ein späterer (protestantischer bzw. puritanischer) Besucher, dem Shakespeares Katholizismus ein Dorn im Auge war, zu einem solchen Schritt hinreißen lassen können. Einer der größten Verehrer Shakespeares in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war der Puritaner John Milton. Er war 1638/39 in Italien und in Rom und hat nachweislich im Pilgerhospiz des Englischen Kollegs logiert und diniert, wobei er den englischen Jesuiten durch seine Ausführungen zum Thema Religion unangenehm auffiel. Milton könnte somit als Verursacher der Beschädigung in Frage kommen. Das aber ist nur eine Hypothese, wenngleich eine sehr reizvolle.

Hinsichtlich der übrigen drei Einträge, deren signifikantes Merkmal der vollständige oder angedeutete Name der Stadt Stratford ist und die exakt in die Zeit der “verlorenen Jahre” fallen, dürfte es sich aber wohl kaum um merkwürdige Zufälle handeln, sondern eher um Bestätigungen dafür, daß William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon in dieser bisher völlig dunkel gebliebenen Phase seines Lebens Rom tatsächlich mehrfach besucht hat. Genau darauf hatten alle zuvor von mir zusammengetragenen Indizien hingedeutet. Bezeichnenderweise taucht das Pseudonym “Stratfordus” nur in den “lost years” und im Jahre 1613 auf. Diese Belege aus einer erstrangigen historischen Quelle, die den Ort 400 Jahre lang nicht verlassen hat, fügen sich somit absolut stimmig und plausibel in die Vita William Shakespeares ein.

Das Jahr 1613 markiert im Leben Shakespeares eine Wende. In diesem Jahr regelte der Dramatiker seine Londoner Angelegenheiten und zog sich daraufhin wohl endgültig nach Stratford zurück. Das erneute und letztmalige Auftauchen des Pseudonyms “Stratfordus” im Pilgerbuch des Englischen Kollegs in Rom läßt sich nun als Indiz dafür deuten, daß der Dramatiker am Ende seiner glanzvollen und ruhmreichen beruflichen Karriere abschließend noch einmal nach Rom gereist ist, wobei er wiederum den Namen seiner Heimatstadt als Tarnung benutzte. Als Vornamen wählte er diesmal “Ricardus” - offensichtlich zum Gedenken an seinen am 4. Februar 1613 in Stratford beerdigten Bruder Richard, ein Name, der im übrigen auch der Vorname seines väterlichen Großvaters war.

Damit stand für mich fest, in welchen Kreisen sich William Shakespeare in den sieben “lost years” aufgehalten hatte. Auf welche Weise er seinen Horizont erweitern konnte. Wo er seine geografischen Kenntnisse erwerben konnte.

Viele Stellen im Werk Shakespeares lassen sich nun ganz anders lesen und deuten. Der Dichter kannte die Geographie Ober- und Mittelitaliens sehr genau. Er kannt auch die damals übliche Praxis des Geldwechsels in Florenz. Dies zeigt eine Textstelle in Der Widerspenstigen Zähmung (The Taming of the Shrew). Ein Reisender aus Mantua, der in Florenz Geld gewechselt hat, macht in Padua Station und erklärt, Padua sei sein Ziel nur für einige Wochen. Dann werde er weiter nach Rom reisen. Da es für einen elisabethanischen Autor aber wegen der strengen Zensur gefährlich war, Rom zu kennen oder auch nur zu nennen, läßt Shakespeare seinen Reisenden eher unmotiviert nachschieben, von Rom werde er nach Tripolis weiterreisen. Welches Tripolis auch immer gemeint war, es war unverdächtig.

Auch die englischen Jesuiten, Weltgeistlichen und Studierenden des Collegium Anglicum in Douai bzw. Reims reisten bzw. pilgerten zu Wasser und zu Lande nach Rom, und zwar über Paris und Lyon nach Marseille, von dort mit dem Segelschiff nach Genua, dann über Florenz und Siena nach Rom. Wie die Quellen berichten, rissen sich die jungen Priester und Studenten des Kollegs geradzu darum, nach Rom reisen zu dürfen.

Sie haben noch einen weiteren entscheidenden Beleg für Shakespeares Katholizismus gefunden und dafür, daß der Dichter sogar einen wesentlichen Beitrag zum Überleben seiner unterdrückten Religion geleistet hat. Worum handelt es sich bei diesem Beleg?
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Ich habe tatsächlich noch einen zusätzlichen dokumentarischen Beleg für Shakespeares Katholizismus aufgefunden, der bisher in seiner eigentlichen Bedeutung übersehen wurde. Dieses historische Zeugnis zeigt überdies, wenn man es richtig befragt, daß der Dichter mit erheblichen finanziellen Eigenmitteln zum Fortbestand der alten Religion beigetragen hat. Im März 1613 kaufte er für insgesamt 140 Pfund das östliche Torhaus der alten Klosteranlage Blackfriars in London. Für sein repräsentatives Anwesen New Place in Stratford hatte Shakespeare 1597 60 Pfund gezahlt. Wie bereits erwähnt, regelte er 1613 seine Angelegenheiten in London, um sich endgültig nach Stratford zurückziehen zu können. Seine Investitionen in Haus- und Grundbesitz hat Shakespeare stets in Stratford getätigt. Der Erwerb des Torhauses in London stellt eine große Ausnahme dar. Weder der Dichter noch seine Familie haben - soweit bekannt - jemals in diesem Haus gewohnt. Ungewöhnlich und zugleich aufschlußreich ist die Art und Weise des Erwerbs: Der Hauskauf in Blackfriars erfolgte zusammen mit drei Treuhändern, die dafür Sorge trugen, daß der Zweck der Erwerbung auch über den Tod Shakespeares hinaus erfüllt wurde. Worin aber bestand dieser Zweck?

Ich habe mir den Kaufvertrag, die überlieferten Beschreibungen des Gebäudes und vor allem auch seine Nutzung durch die Vorbesitzer sehr genau angesehen. Dieses Torhaus war, als Shakespeare es kaufte, bereits seit Jahrzehnten die Anlaufstelle für flüchtige katholische Priester. Dort fanden sie Unterschlupf, und es wurde für ihre Verpflegung gesorgt. Von dort aus gelangten sie an die Anlegestelle an der Themse und konnten per Boot und Schiff auf den Kontinent entkommen. Shakespeare hat erhebliche Vermögenswerte in dieses Objekt gesteckt und auf diese Weise dafür gesorgt, daß es auch in Zukunft demselben Zweck dienen konnte. Wie seine Vorbesitzer hatte auch er einen Pächter. Von den früheren Pächtern wissen wir, daß sie unter Lebensgefahr die notleidenden katholischen Priester beherbergten und ihnen zur Flucht verhalfen.

In der Retrospektive zeigt sich, daß das ganze glänzend arbeitsteilig organisiert war. Die Treuhänder waren William Johnson, Eigentümer der berühmten Mermaid Tavern in London, John Jackson, Schiffsmagnat, und John Heminge, Business-Manager der Shakespeareschen Theatertruppe. Shakespeare konnte für Unterkunft, Schutz und Fluchthilfe der Priester sorgen, Johnson für ihre Verpflegung und Jackson für ihren Transport außer Landes. Heminge dürfte alles dies organisiert und koordiniert haben. Das rund 200 Meter von Shakespeares Torhaus entfernte Blackfriars Theatre konnte zudem Perücken, falsche Bärte und Kostüme stellen.

Shakespeares Haus in Blackfriars war der vielleicht wichtigste Stützpunkt des englischen Kryptokatholizismus in England. Von dort gab es eine direkte Verbindung zu Parsons’ Jesuitenkolleg in St. Omer, südlich von Calais, das als kontinentaler Brückenkopf diente. Wir haben es daher mit einer der bedeutendsten Organisationsformen des englischen Kryptokatholizismus zu tun. Shakespeare, der dafür große Teile seines Vermögens einsetzte, hat auf diese Art und Weise entscheidend zum Überleben der gesetzlich verbotenen und verfolgten alten Religion beigetragen. Nach der Pulververschwörung (1605) fand John Gerard - er war nach dem Superior Henry Garnett der bedeutendste Jesuit Englands - im östlichen Torhaus von Blackfriars Unterschlupf und konnte so seinen Häschern entkommen. Garnett aber wurde ergriffen und nach einem großen Schauprozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Der urkundlich belegte Hauskauf Shakespeares in Blackfriars ist der bisher wichtigste dokumentarische Beleg dafür, daß der Dichter - wie schon in seiner Jugend - auch gegen Ende seines Lebens konkrete und bedeutende Maßnahmen zum Schutz katholischer Priester und zum Fortbestand des in seiner Existenz bedrohten englischen Katholizismus getroffen hat, wobei er nicht nur sein Leben riskierte, sondern auch das seiner Familienangehörigen.
Sieben Jahre nach Shakespeares Tod kam es in einem Torhaus von Blackfriars bei einem Deckeneinsturz zu einem schweren Unglück. Es handelte sich - wie ich in Zusammenarbeit mit einem Architekten herausgefunden habe - um das nördliche Torhaus der ehemaligen Klosteranlage. Das 3. Stockwerk dieses Gebäudes wurde heimlich als katholische Kirche genutzt. Während eines sonntäglichen Gottesdienstes, bei dem die Menschen dicht gedrängt standen, brach die Decke ein, durchschlug die darunterliegende Decke und stürzte auf das Torgewölbe. Rund einhundert Menschen starben. Ein antikatholischer Anschlag konnte weder bestätigt noch ausgeschlossen werden.

Auf einem zeitgenössischen Stich und einem Gemälde der Shakespearezeit konnte ich dieses Torhaus identifizieren. Der Stich stammt aus dem Jahre 1588 und zeigt im Vordergrund Elisabeth I. mit ihrem Gefolge auf dem Weg nach St. Paul’s, wo anläßlich des englischen Siegs über die Armada ein Dankgottesdienst stattfand. An den Fenstern in der ersten Etage befinden sich zahlreiche vornehm gekleidete Menschen, die den Zug der Königin beobachten. An den Fenstern der oberen Stockwerke aber ist bezeichnenderweise niemand, der den Zug beobachtet. In der belle étage residierte der französische Botschafter, der einen Geheimzugang zu dieser Kirche hatte und der natürlich auch eine Schutzfunktion ausübte.
Durch die Katastrophe von Blackfriars im Jahre 1623 war ans Tageslicht gekommen, daß auch das nördliche Torhaus im Dienst des englischen Krypto-Katholizismus stand und nicht nur eine katholische Kirche, sondern auch ein katholisches Seelsorgezentrum beherbergte. Zu dieser Zeit dürfte das östliche Torhaus, in das William Shakespeare große Vermögensteile gesteckt hatte, noch im Besitz seiner Familie gewesen sein. Seine Tochter Susanna Hall hatte 1618 - offensichtlich einvernehmlich mit den alten Treuhändern - die Treuhänderschaft in andere Händer übergehen lassen. Shakespeares Verfügungen wurden somit auch nach seinem Tod erfüllt.

Einer katholischen Tradition zufolge wurde der Dichter an seinem Sterbebett von einem Benediktiner betreut. Vieles spricht dafür, daß er auch in seinem vornehmen Anwesen New Place in Stratford Priester beherbergt hat. Unmittelbar nach dem Erwerb dieses ehemaligen Adelshauses nahm Shakespeare bauliche Veränderungen vor. Den Rest der Steine verkaufte er an die Stadt. Es ist bekannt, daß der elisabethanische Landadel Umbaumaßnahmen in der Regel dazu nutzte, geheime und gut getarnte Priesterverstecke einzurichten. Viele dieser “Priesterlöcher” (“priest holes”) wurden erst sehr viel später in der überkommenden Bausubstanz entdeckt und identifiziert. Im Falle von New Place war dies nicht möglich. Ein protestantischer Geistlicher, der das große repräsentative Gebäude im 18. Jahrhundert erworben hatte, ließ es schon nach wenigen Monate niederreißen - angeblich deshalb, weil er sich von Touristen belästigt fühlte, die Shakespeares Haus zu sehen wünschten. Der angegebene Grund aber dürfte nur ein Vorwand gewesen sein. Der protestantische Geistliche könnte im Hause Shakespeares, der zu dieser Zeit bereits als (protestantischer) Nationalheros verehrt wurde, auf etwas gestoßen sein, das den Dichter als Anhänger des katholischen Glaubens auswies.

Warum wurde Shakespeare Schauspieler und Dramatiker, wenn er als überzeugter Katholik helfen wollte?
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Das war seine Begabung. Er ist ja auch nicht Priester geworden. Er hat ganz offensichtlich in Reims - wie viele andere junge englische Katholiken -lediglich die geisteswissenschaftliche Grundausbildung erhalten. Das Konzept an Allens Kolleg war jesuitisch orientiert. Wie bei der jesuitischen Ausbildung standen Theater und Rhetorik im Zentrum. Und: Man schrieb und spielte Historiendramen, die stets ein moralisch-didaktisches Anliegen hatten. Das war der entscheidende Punkt. Die Geschichte lieferte sozusagen die Beispiele, abschreckende oder nachzuahmende, aus denen Lehren für die Gegenwart gezogen werden sollten. Solche Absichten verfolgte auch Shakespeare mit seinen Historiendramen. So ließen die Verschwörer am Vorabend der Essex-Rebellion (1601) Shakespeares Historie Richard II. aufführen. Richard hatte

seine königlichen Pflichten eklatant verletzt und wurde daher abgesetzt. Elisabeth I. sollte mit diesem Stück der Spiegel vorgehalten werden. Ihr wurde herrscherliche Pflichtverletzung vorgeworfen, weil sie es versäumt hatte, ihre Nachfolge zu regeln.

Shakespeare Dramen aber vermitteln auch hohe moralische Werte - und ein Weltbild, das katholisch geprägt ist. Doch macht sich der Dramatiker keineswegs zum Sprachrohr des Katholizismus. Aber katholische Priester, Mönche und Nonnen werden positiv erwähnt. In den Sonetten finden sich verhaltene Klagen über die Ruinen der ehemals blühenden Klöster. Darin äußert sich Kritik an der Zerstörung der englischen Klosterkultur durch Heinrich VIII., der den Bruch mit Rom vollzog, den seine Tochter Elisabeth I. kurz nach ihrem Regierungsantritt erneuerte und festigte. In Shakespeares Weltbild spielt - wie bei keinem anderen Dramatiker seiner Zeit - die göttliche Gnade eine ungewöhnlich große Rolle. In dem bewegenden Monolog der Portia im Kaufmann von Venedig (The Merchant of Venice) heißt es:

Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang.
Sie träufelt, wie des Himmels milder Regen,
Zur Erde unter ihr, zwiefach gesegnet:
Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt;
Am mächtigsten in Mächt’gen, zieret sie
Den Fürsten auf dem Thron mehr als die Krone;
Das Zepter zeigt die weltliche Gewalt,
Das Attribut der Würd’ und Majestät,
Worin die Furcht und Scheu der Kön’ge sitzt.
Doch Gnad’ ist über dieser Zeptermacht,
Sie thronet in dem Herzen der Monarchen,
Sie ist ein Attribut der Gottheit selbst,
Und ird’sche Macht kommt göttlicher am nächsten,
Wenn Gnade bei dem Recht steht; [...]
wir beten all’ um Gnade,
Und dies Gebet muß uns der Gnade Taten
Auch üben lehren.

Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.”

Mit 5 Abbildungen: (1) Porträt der Autorin, (2) Das sogenannte Flower-Porträt William Shakespeares von 1609 ist über ein Madonnenbild aus dem 15. Jahrhundert gemalt, (3) Ansicht von Hoghton Tower in Lancashire (Ausschnitt), (4) Das englische Kolleg in St.-Omer (südlich von Calais) wurde 1593 von Robert Parsons gegründet, (5) Elisabeth I. auf dem Weg zur Siegesfeier, im Hintergrund das Torhaus mit dem geheimen Versammlungsraum der Katholiken.

[Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Dr. Böttiger Verlags-GmbH, Bahnstr. 9a, 65205 Wiesbaden, Telefon: 0611/77861-0, Fax: 0611/77861-18,
E-mail: ibykus@solidaritaet.com]


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“Interview mit Prof. Dr. med. Peter Berle am 17. Oktober 1999”,
Anglistik. Mitteilungen des Deutschen Anglistenverbandes
(September 2000), S. 155 - 158.
Mit 1 Abb. (Frankfurter Buchmesse, Interviewer: H. Hammerschmidt-Hummel).

 

 

H.H.H.: Herr Professor Berle, ich möchte Ihnen zunächst sehr herzlich danken, daß Sie zum Stand des Primus Verlags auf der Frankfurter Buchmesse gekommen sind. Wir befinden uns hier vor einer großformatigen Reproduktion des Gemäldes ‘The Persian Lady’ von Marcus Gheeraerts d. J., das zwischen 1590 und 1600 entstand, also genau in der Dekade, in der auch Shakespeares Sonette geschrieben wurden. Es handelt sich um eine festlich gekleidete, bisher nicht identifizierte Dame, die ein ganz auffälliges Merkmal aufweist. Sie ist schwanger. Dazu haben Sie, Herr Professor Berle, sich in Ihrer Eigenschaft als Chefarzt einer Frauenklinik und Hebammenschule 1997 gutachterlich geäußert. Ihr Befund: Die schwangere Unbekannte stehe rund 8 bis 12 Wochen vor dem Geburtstermin.

Ich möchte Ihnen vorab eine ganz hypothetische Frage stellen, um Sie dann anschließend zu bitten, noch einmal auf die Schwangerschaftsmerkmale der Porträtierten einzugehen und sie zu erläutern. Angenommen, ein Literaturwissenschaftler würde behaupten, die ‘Persian Lady’ sei gar nicht schwanger, was würden Sie ihm entgegnen?

Prof. Berle: Ich würde ihm entgegnen, daß die von Marcus Gheeraerts d. J. naturgetreu wiedergegebene vornehme Dame dann zumindest einen Ovarial-Tumor im Bauchraum haben müßte. Denn eine derartige Figur ist nicht vorstellbar, ohne daß ein medizinisches Symptom vorliegt.

H.H.H. Könnten Sie uns nun bitte anhand der großformatigen Reproduktion des Bildes die äußeren Merkmale, auf die sich Ihr Befund stützt, zeigen und erläutern?

Prof. Berle: Ich hatte bereits schriftlich dargelegt, daß sich die ‘Persian Lady’ nach meiner Meinung etwa in der 28. bis 32. Schwangerschaftswoche befindet. Davon ging ich deswegen aus, weil ich den Nabel dieser Dame sozusagen virtuell lokalisieren konnte. Wenn ich mir das Bild heute ansehe, kommt übrigens noch ein zusätzliches Merkmal hinzu, mit dem man den Nabel tatsächlich noch etwas besser positionieren kann. Die ‘Persian Lady’ stützt sich mit der linken Hand auf den Beckenkamm. Und der Nabel liegt praktisch genau in Höhe des Beckenkammes, zumindest richten wir uns danach, wenn wir zum Beispiel Bauchdeckenplastiken oder dergleichen anfertigen. Der Nabel wird in Höhe des Beckenkammes positioniert und so ist es auch hier. Der Nabel der ‘Persian Lady’ liegt etwas unterhalb des über dem Bauch hängenden Ringes. Wenn man nun davon ausgeht, daß in dieser Höhe in der 24. Woche der höchste Stand der Gebärmutter ist und sich unterhalb dieses Nabels dann die Schwangerschaft vorwölbt wie eine Kugel, müßte die Vorwölbung deutlich weiter unten sein. Das Kleid würde dann aber völlig anders fallen. Die größte Vorwölbung liegt in diesem Fall aber tatsächlich etwas höher, nämlich zwei bis vier Querfinger oberhalb des Nabels. Der Fundus der Gebärmutter steht in der 28.-32. Woche etwa zwei bis drei oder vier Querfinger oberhalb des Nabels, aber noch nicht in Höhe des Rippenbogens, was auf die 36. Woche hindeuten würde. Ich meine daher, daß wir diese Schwangerschaft in die 28.-32. Woche legen können.

H.H.H.: Herr Prof. Berle, ich danke Ihnen sehr herzlich für diese ausführliche Stellungnahme, in der Sie Ihren gutachterlichen Befund durch die Entdeckung eines zusätzlichen Merkmals noch weiter erhärten konnten.

Ich möchte Sie, wenn Sie erlauben, noch auf einen anderen Punkt Ihres Gutachtens ansprechen. Sie führen aus, daß bei der ‘Persian Lady’ Wassereinlagerungen noch nicht feststellbar sind und konnten auch aufgrund dieser Tatsache den von Ihnen ermittelten Schwangerschaftsstand bestätigen. Könnten Sie bitte auf diesen Punkt noch einmal kurz eingehen? Und wäre es Ihnen möglich, dabei auch das Gesicht auf dem authentischen Porträt der Gräfin von Southampton zu berücksichtigen, dessen fotomechanische Reproduktion (Maße 75x44 cm) ich mitgebracht habe?

Prof. Berle: Wie groß ist der Zeitunterschied zwischen diesen beiden Bildern?

H.H.H.: Der Zeitunterschied zwischen den beiden Gemälden dürfte ca. 1-2 Jahre, eventuell bis zu 5 Jahren betragen. Auf dem authentischen Porträt muß Elizabeth Vernon bereits Gräfin von Southampton sein. Denn der hermelinbesetzte Samtmantel am rechten Bildrand zeigt ihren hohen sozialen Status an. Und: Sie ist auf diesem Bildnis nicht schwanger, so daß das Porträt nach der Entbindung am 8. November 1598 und nach der Entlassung aus dem Fleet-Gefängnis entstanden sein muß, in das die Königin sie Anfang September 1598 hatte werfen lassen. Als Entstehungszeit muß daher 1599-1600 oder 1601-1603 angenommen werden. Im Februar 1601 wurde der Graf von Southampton wegen seiner Beteiligung an der Essex-Rebellion zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde jedoch in lebenslange Haft im Tower umgewandelt. Erst Jakob I., Elisabeths Nachfolger, begnadigte Southampton und setzte ihn wieder in seine alten Rechte ein.

Prof. Berle: Sie haben es völlig richtig gesagt. Man sieht, daß die Gräfin von Southampton (bei der Toilette) nicht schwanger, die ‘Persian Lady’ jedoch hoch schwanger ist.

H.H.H.: Das Gesicht der Gräfin von Southampton zeigt gegenüber dem Bild der ‘Persian Lady’ einiges Fettgewebe, das die Gesichtsumrißform leicht verändert. Die markant geformte Kinnspitze, ein ganz entscheidendes Erkennungsmerkmal der Gräfin, ist jedoch bei genauem Hinschauen deutlich erkennbar. Diese leichten äußerlichen Veränderungen erklären sich aus den veränderten Lebensumständen der Gräfin.

Im Jahre 1598 war Elizabeth Vernon, Hofdame Elisabeths I., einer Art Dauerstreß ausgesetzt: der Streit des Grafen von Southampton mit dem Höfling Willoughby (Ende Januar), der angedeutet hatte, bei Vernon sei noch ein anderer Mann im Spiel - die daraufhin geplatzte Heirat - Southamptons Antritt einer 2jährigen Reise nach Kontinentaleuropa am 10. Februar - Vernons Schwangerschaft, die im Sommer nicht mehr zu verbergen war - ihre Verbannung vom Hof - ihre heimliche Eheschließung mit dem Grafen von Southampton ohne königliche Erlaubnis - ihre (begründete) Furcht vor dem Zorn und der Strafe der Königin - alles das waren erhebliche psychische Belastungen, die auch äußerlich Spuren hinterlassen haben müssen. Es kann daher nicht verwundern, daß das Gesicht der schwangeren ‘Persian Lady’, bei der es sich laut BKA-Vergleich (und gemäß schlüssiger Erklärung der beiden festgestellten Abweichungen) um die Gräfin von Southampton handelt, angestrengt, schmal und bläßlich und das Gesicht der Gräfin bei der Toilette demgegenüber entspannt, etwas fülliger und gerundeter erscheint. Denn nach der Entbindung (im Gefängnis) und nach den extremen Belastungen und Strafen des Jahres 1598 (einschließlich einer fast dreimonaten Inhaftierung) konnte die Gräfin nun ein sorgenfreies Wohlleben in Luxus führen.

Prof. Berle: Das Gesicht der Schwangeren ist schon etwas gestreßt, wenn man das so modern ausdrücken möchte. Man sieht es auch an den Augen. Aber was sie mit Sicherheit nicht hat: Sie hat keine Wasseransammlungen, also keine schwangerschaftsbedingten vermehrten Einlagerungen von Wasser, was wir häufig im letzten Drittel, also ab der 32.-34. Woche erwarten. Dies deutet eigentlich schon darauf hin, daß die ‘Persian Lady’ noch nicht in den letzten 6 Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin steht. Zudem zeigt auch der Ring am Daumen an, was ich in meinem Gutachten bereits dargelegt habe, daß die Schwangere noch keine Gestose (schwangerschaftsbedingte Wassereinlagerungen) hat. Denn dann könnte sie diesen Ring nicht mehr tragen. Schwangere Frauen mit Wassereinlagerungen ziehen ihre Ringe ab, weil sie sie abends oder zum Waschen sonst nicht mehr abbekommen oder nur noch mit Hilfsmitteln wie etwa Seife.

Das Kinn ist natürlich auch sehr schmal. Auch das spricht eigentlich eher dafür, daß die ‘Persian Lady’ noch nicht im letzten Drittel der Schwangerschaft steht. Ich meine, daß die genannten schwangerschaftsbedingten Erkrankungen, die vorwiegend im letzten Drittel der Schwangerschaft auftreten, auf dem Bild der ‘Persian Lady’ nicht zu erkennen sind. Bei dem gerundeteren Kinn auf dem Porträt der Gräfin von Southampton bei der Toilette, das wohl aus einer leicht veränderten Perspektive gemalt wurde, ist jedoch die Kinnspitze [wie bei der ‘Persian Lady’] vorhanden.

HHH.: Wenn ich noch eine letzte Frage anschließen darf. Ist Ihnen auf dem authentischen Porträt der Gräfin von Southampton eine Besonderheit aufgefallen - etwa ein Bildhinweis des Malers? ----- Ich sehe, daß dies nicht der Fall ist, und darf sogleich hinzufügen, daß bisher keine der von mir befragten Personen auf diese Frage eine Antwort geben konnte. Auch ich selber habe diese Botschaft des Malers keineswegs sogleich bemerkt. Erst nach wiederholter intensiver Beschäftigung mit diesem Porträt entdeckte ich, daß sich am rechten äußeren Ärmel der Gräfin in der Höhe ihres Ellenbogens ein Gesicht befindet.

Könnten Sie sich als Mediziner zu der Frage äußern, ob es sich auch nach Ihrer Meinung um ein menschliches Gesicht und nicht nur um ein Stück Stoff mit einem Muster handelt, in das man ein Gesicht hineindeuten kann?

Prof. Berle: Nein, nein, ich bin schon fasziniert, daß Sie das erkannt haben. Es handelt sich eindeutig um ein Gesicht. Daneben könnte man fast eine Maske sehen. Doch das geht wiederum zu weit. Aber das Gesicht ist eindeutig zu erkennen.

H.H.H.: Diese Meinung vertrat auch der von mir konsultierte BKA-Sachverständige. Er bestätigte ferner, daß dieses Gesicht die Züge William Shakespeares trage.

Es gibt im Englischen die Redensart ‘to wear one’s heart upon one’s sleeve’, auf die sich der Maler beziehen dürfte. Auch im Werk Shakespeares gibt es dafür einen Beleg. In Love’s Labour’s Lost wird von einem Galan gesagt, er hefte sich seine weiblichen Eroberungen an den Ärmel: “This gallant pins the wenches on his sleeve / Had he been Adam he had tempted Eve”.

Prof. Berle: Ob man das tatsächlich als Erfolgstrophäe interpretieren sollte, sei dahingestellt, obwohl man ja auch heute sehr großzügig mit seinen Partnerschaften umgeht. Auf jeden Fall entspricht die Positionierung des Gesichts am Ärmel der Gräfin von Southampton der Redensart und dem genannten Shakespeare-Zitat.

H.H.H.: Herr Prof. Berle, ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses Interview.


Abbildung: Ausschnitt des Gemäldes “Elizabeth Wriothesley, geb. Vernon ...”. Stark vergrößerte Wiedergabe der Gesichtszüge Shakespeares am rechten Arm der Gräfin in Ellbogenhöhe. Bildzitat aus dem Band Das Geheimnis um Shakespeares ‘Dark Lady’.

Das von dem Befragten auf sachliche Richtigkeit überprüfte Interview wurde geführt von Hildegard Hammerschmidt-Hummel, Autorin des Buches Das Geheimnis um Shakespeares ‘Dark Lady’: Dokumentation einer Enthüllung (Darmstadt: Primus Verlag, 1999).

[Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers der Anglistik: Prof. Dr. Dr. h.c. Rüdiger Ahrens, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Am Hubland, D-97074 Würzburg, Tel.: 0931-888-5408, Fax: 0931-888-5413, E-mail: ruediger.ahrens@mail.uni-wuerzburg.de]

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“Interview mit: Prof. Dr. med. Wolfgang Hach am 17. Oktober 1999”, Anglistik. Mitteilungen des Deutschen Anglistenverbandes (September 2000), S. 159 - 160 (Frankfurter Buchmesse - Interviewer: H. Hammerschmidt-Hummel).


H.H.H.: Herr Professor Hach, ich freue mich, daß auch Sie heute zum Stand des Primus Verlags auf der Frankfurter Buchmesse gekommen sind. Wir befinden uns hier vor der großformatigen Reproduktion des Gemäldes “The Persian Lady”, die ein auffälliges Merkmal aufweist. Sie ist schwanger. Sie, Herr Professor Hach, haben sich 1997 gutachterlich zu einer Reihe von Schwangerschaftsmerkmalen auf dem Gemälde ‘The Persian Lady’ geäußert, das Sie Bild B nannten. Zum Vergleich hat Ihnen auch das Bildnis der Gräfin von Southampton bei der Toilette vorgelegen. Sie nannten es Bild A. Sie verwiesen auf den starken Leibesumfang der ‘Persian Lady’, die Vergrößerung ihrer Brüste, ihre Schulterregion, ihren Halsumfang, ihre leichten Glanzaugen, ihre auffallend blasse Haut, ihren allgemeinen Ausdruck und ihre Kleiderfalten. Ihre Erklärung für die leichten Glanzaugen der ‘Persian Lady’ lautete, daß während der Schwangerschaft eine erhöhte Absonderung von Schilddrüsenhormonen erfolgt und daß die leichte Überfunktion der Schilddrüse eine Schwellung der Fettkörper hinter dem Auge bewirkt und die Augen dadurch auffallend groß erscheinen. Könnten Sie uns dieses Erscheinungsmerkmal anhand der hier ausgestellten Reproduktion des Gheeraertsschen Gemäldes bitte noch einmal aufzeigen und kommentieren.

Prof. Hach: Zunächst zur Schilddrüse selber. Man sieht auf Bild A, daß die Dame eine Kette trägt, die den Hals eng umschließt. Auf Bild B trägt sie eine solche Kette nicht. Das mag damit zusammenhängen, daß der Halsumfang während der Schwangerschaft zugenommen hat. Bei den Germanen, die eng anliegende Halsketten trugen, gab es den Ausdruck ‘die Halskette wird zu eng’. Angespielt wurde damit auf die Schwangerschaft einer Frau.

Die Vergrößerung der Schilddrüse bewirkt in der Schwangerschaft eine etwas erhöhte Hormonausschüttung. Dadurch kommt es - wie in meinem Gutachten dargestellt - zu einer Schwellung des Fettkörpers hinter den Augen. Die Augen treten ein kleines bißchen stärker hervor. Man spricht deshalb von einem Glanzauge. Ein großes Auge wird als schön empfunden und deswegen gilt eine Frau am Ende ihrer Schwangerschaft als besonders schön. Dies gilt auch für die ersten Monate nach der Entbindung.

Auf Bild A sieht man, daß die Augenlider die Iris halb umgreifen, auf Bild B reichen die Augenlider nur bis zum oberen Rand der Iris, das heißt, daß die Augen dieser Dame (der ‘Persian Lady’) insgesamt größer sind. Wenn man - wie im Fall der ‘Persian Lady’ - sogar das Augenweiß am unteren Augenrand erkennen kann, spricht man von dem sogenannten Bell’schen Phänomen. Das ist der Ausdruck des Glanzauges. Nach der Schwangerschaft bilden sich diese Veränderungen wieder vollkommen zurück.

H.H.H.: Herr Prof. Hach, ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses Interview und darf abschließend noch einmal zusammenfassen: Die großen, glänzenden und hervortretenden Augen der “Persian Lady” erklären sich nach Ihrer Meinung durch die erhöhte Hormonansammlung hinter den Augen, die während der Schwangerschaft eintritt. Sie sind eine vorübergehende schwangerschaftsbedingte Erscheinung (Glanzauge bzw. Bell’sches Phänomen), die sich nach der Entbindung zurückbildet. Auf dem Porträt der nicht schwangeren Gräfin von Southampton ist dieses Symptom nicht mehr vorhanden. Dies ist die medizinische Erklärung für den unterschiedlichen Augenausdruck auf den beiden Porträts.

Das von dem Befragten auf sachliche Richtigkeit überprüfte Interview wurde geführt von Hildegard Hammerschmidt-Hummel, Autorin des Buches Das Geheimnis um Shakespeares ‘Dark Lady’: Dokumentation einer Enthüllung (Darmstadt: Primus Verlag, 1999).

[Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers der Anglistik: Prof. Dr. Dr. h.c. Rüdiger Ahrens, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Am Hubland, D-97074 Würzburg, Tel.: 0931-888-5408, Fax: 0931-888-5413, E-mail: ruediger.ahrens@mail.uni-wuerzburg.de]

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“‘Ich glaubte es selbst kaum’ - Interview mit der Entdeckerin der ‘Dark Lady’”, Focus (6. September 1999), S. 178:

Focus: Shakespeare verwandt mit Lady Di. Ist das nicht ein bisschen zu verrückt für seriöse Wissenschaft?

Hammerschmidt-Hummel: Mit einem solchen Nebenergebnis hatte ich nicht gerechnet, ich konnte es selbst kaum glauben. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, es nach dem Unfalltod der Prinzessin zu verschweigen. Ich wollte nicht zu den Sensationsautoren gezählt werden.

Focus: Erkennen Sie im Film ‘Shakespeare in Love’ Parallelen?

Hammerschmidt-Hummel: Die wunderbare Story des Films ist völlig frei erfunden. Mein Buch dagegen enthält die wahre Geschichte, ‘Shakespeare’s True Love’, die noch atemberaubender ist als die Fiktion. Als der Film 1998 herauskam, war mein Manuskript schon lang beim Notar hinterlegt.

Focus: Muss man sich nun vom Dichter ein anderes Bild machen? Ein höfischer Casanova etwa?

Hammerschmidt-Hummel: Casanova, nein. Aber wir kennen jetzt das Geheimnis seiner tiefen Liebe zu Elizabeth Vernon. Sie heiratet seinen Nebenbuhler. Diese Dreiecksbeziehung beschreibt der Poet in den Sonetten.

Focus: Könnte es nicht sein, dass die Ereignisse ganz anders waren?

Hammerschmidt-Hummel: Dann müsste man alle von mir gefundenen Indizien unterschlagen. Es scheint zudem nicht allgemein bekannt zu sein, dass Gemälde aus der Renaissance eine wertvolle und verlässliche historische Quelle sind.”

 


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