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Aktualisiert: 01. Oktober 2007 / updated: 01 October 2007

Die verborgene Existenz des William Shakespeare

[The hidden existence of William Shakespeare]

d. Interviews / Interviews

 

Siehe auch Inhalt / Contents: Interviews / Interviews

 

“William Shakespeare. Dichter und Rebell aus dem katholischen Untergrund. Ein Gespräch mit Hildegard Hammerschmidt-Hummel”, Ibykus. Zeitschrift für Poesie, Wissenschaft und Staatskunst (4. Quartal 2001), S. 44-51 (Interviewer: Muriel Mirak-Weißbach und Elisabeth Böttiger, Interviewte: H. Hammerschmidt-Hummel.

“Die Anglistik-Professorin Dr. Hammerschmidt-Hummel hat in der Shakespeare-Forschung für Aufsehen gesorgt. Sie hat zum Beispiel durch akribische, teilweise sogar kriminalistische Untersuchungen den Nachweis über die Echtheit des Flower-Porträts erbracht und bewiesen, daß es sich bei der sogenannten Darmstädter Shakespeare-Totenmaske um das Original handelt. Wichtiger für das Verständnis der Werke Shakespeares und ihrer zeitgeschichtlichen Einordnung ist allerdings ihre Entdeckung, daß dieser als Katholik in der Zeit der Katholikenverfolgungen in England zwischen 1564 und 1616 ein Doppelleben führen mußte. Muriel Mirak-Weißbach und Elisabeth Böttiger sprachen am 2. Juni 2001 mit Frau Hammerschmidt-Hummel.


Ihr kürzlich im Herder Verlag erschienenes neues Buch Die verborgene Existenz des William Shakespeare hat für Aufsehen gesorgt. Die Art und Weise, wie Sie an das Thema herangegangen sind, ist anders als bei normalen akademischen Werken. Wie wurde die Idee sozusagen geboren?
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Die Idee wurde geboren, als ich dabei war, die Ergebnisse meiner Echtheitsprüfungen an vier Shakespeare-Bildnissen sowie die Geschichte dieser Bilder und Büsten in Buchform darzustellen und mich gerade sehr intensiv mit dem sogenannten Flower-Porträt befaßte. Unter diesem Porträt befindet sich ein Madonnen-Bild aus dem 15. Jahrhundert. Das hat den Anstoß für meine Forschungen gegeben. Ein (wenn auch übermaltes) Marienbild zu besitzen, war im protestantischen England gefährlich. Sein Eigentümer setzte sich dem Verdacht aus, Katholik zu sein. Die Frage nach Shakespeares Religion ist nicht neu. Sie mußte aber bisher offen bleiben. Ich habe diese Frage erneut gestellt und den gesamten Komplex noch einmal ganz neu aufgerollt.Dabei hatte ich das große Glück, nicht nur bekannte Quellen neu interpretieren und in ihnen kodierte Passagen entdecken und entschlüsseln, sondern auch ganz neue textliche und bildliche Quellen aufspüren und erschließen zu können. Rein werkimmanent läßt sich die Religion Shakespeares nicht nachweisen. Das haben ganze Forschergenerationen vor mir versucht. Dies ist nur mit externen zeitgenössischen Dokumenten möglich.

Insgesamt konnte ich mehrere historische Quellen ausfindig machen, die für das Leben, die Biographie und die Religion Shakespeares von immenser Wichtigkeit sind. Sie versetzten mich in die Lage, beweisen zu können, daß der Dramatiker Katholik war. Darüber hinaus gelang mir der Nachweis, daß Shakespeare aktives Mitglied im katholischen Untergrund war. Im Testament des katholischen Adeligen Alexander Hoghton aus dem Jahre 1581 wurde William Shakespeare (alias Shakeshafte) nicht nur als Schauspieler und Privatlehrer erwähnt, sondern auch als Mitglied einer dort verdeckt angeführten elfköpfigen Geheimorganisation, offensichtlich einer Unterorganisation der 1580 in Rom gegründeten Catholic Association. Diese diente dem Zweck, die im damaligen England blutig verfolgten Priester der katholischen Kirche zu schützen, vor allem die Priester der englischen Missionsbewegung, die Jesuitenpatres Edmund Campion und Robert Parsons sowie die 50 Priester, die sie begleiteten. Diese Ergebnisse kamen auch für mich überraschend, wußte ich doch, daß englische Shakespeare-Forscher - allen voran E.A.J. Honigmann - sich sehr intensiv gerade mit dem Testament des Alexander Hoghton befaßt hatten, ohne seine Verschlüsselungen zu bemerken. Honigmann befand schließlich, Hoghtons letztwillige Verfügung enthalte exzentrische und unklare Textstellen. Das ist richtig, denn der Katholik Hoghton hatte sich - absichtlich - kryptisch, d.h. kodiert ausgedrückt. Da war etwa von Schauspielern (“players”) die Rede, um deren künftige Unterbringung und Versorgung sich der Testierende ungewöhnlich große Sorgen machte. In Wirklichkeit aber waren mit “players” Priester gemeint. Es war ferner die Rede von “play clothes”, mit denen die Meßgewänder der Priester gemeint waren. Zudem wurde von “instruments belonging to musics” gesprochen. Dies ist auffällig umständlich formuliert. Denn normalerweise würde man “musical instruments” (“Musikinstrumente”) sagen. Gemeint waren ganz offensichtlich die Instrumente, die für das Lesen der Messe benötigt wurden. Da alles dies aber - wegen der Gefahr für Leib und Leben - nicht offen ausgesprochen werden durfte, benutzte der Testierende Kodierungen. Mit dem richtigen Schlüssel ließ sich die eigentliche Bedeutung des Textes erschließen, ließen sich Art und Ziele von Hoghtons geheimer Organisation leicht durchschauen. Alexander Hoghton, so stand nun fest, hatte in seinem Testament Vorkehrungen getroffen, die das Wohlergehen und den Schutz seiner Priester auch nach seinem Ableben sichern sollten.

Die streng hierarchisierte Gruppe mit einem Kopf und drei Rängen (Shakespeare erscheint übrigens in Rang eins) wurde auf höchst komplizierte Weise finanziert. Die Bezahlung der Mitglieder erfolgte ein Leben lang. Durch Treuhänder sorgte Hoghton dafür, daß das System der Beschaffung und Verteilung der Gelder auch nach seinem Tod funktionierte. Alles dies wurde bezeichnenderweise rund ein Jahr nach dem Beginn der jesuitischen Remissionierung Englands (1580) verfügt und war gründlich vorbereitet worden.

Die englischen Missionspriester waren im April 1580 mit dem Segen Gregors XIII. in Rom aufgebrochen. Sie zogen über Mailand, wo sie von dem berühmten Kardinal Carlo Borromeo (1538-1584) die sog. Borromeoschen (bzw. jesuitischen) Testamente erhielten, schriftliche Bekenntnisse des katholischen Glaubens, die sie zu Tausenden in England verteilten. In ihrer Heimat wurden sie von Mitgliedern der Catholic Association in Empfang genommen, bei denen es sich um junge, ortsansässige englische Katholiken handelte, die die Priester begleiteten und schützten und ihre Aufnahme in den Häusern des Landadels vorbereiteten. Sie waren sozusagen ortskundige Pfadfinder. Der Landadel war praktisch durchweg katholisch geblieben. Er gewährte den Priestern heimlich Unterschlupf und nahm insgeheim ihre Seelsorge in Anspruch. Der Catholic Association gehörte auch der junge Charles Bassett an, ein Urenkel von Thomas Morus.

John Shakespeare, der Vater des Dramatikers, hat von Campion oder Parsons ein jesuitisches Testament erhalten und es unterzeichnet. Das ist ein klarer Beweis für seinen katholischen Glauben. Man hat sein Exemplar durch Zufall 1757 wieder aufgefunden, und zwar versteckt im Dachgestühl seines Hauses in der Henley Street in Stratford. Man hielt das Original, das heute nur noch abschriftlich existiert, anfangs für eine Fälschung. Aber davon ist schon lange nicht mehr die Rede. Schon in elisabethanischer Zeit hat man bei Hausdurchsuchungen, die von der Regierung angeordnet wurden, weitere Testamente dieser Art gefunden. John Shakespeare hat sein geistliches Testament wohl im Zusammenhang mit den Razzien versteckt, die nach der Aufdeckung des katholischen Arden-Somerville-Komplotts erfolgten, als viele Mitglieder der Arden-Familie eingesperrt wurden. Das Familienoberhaupt Edward Arden, den man in dieses Komplott hineingezogen hatte, wurde wie ein gemeiner Verbrecher gehängt. Er war ein entfernter Verwandter von Mary Arden, der Mutter von William Shakespeare. Schon dies war Grund genug, das jesuitische Testament verschwinden zu lassen. Denn wer ein solches Schriftstück besaß, galt als Hochverräter.
Was war Ihre Methode? Sie haben mit einer Hypothese gearbeitet und die entsprechenden Belege quasi Stück für Stück erbracht. Wie kamen Sie beispielsweise darauf, anzunehmen, daß Shakespeare in Douai bzw. Reims studiert hat?
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Man muß den Fall des Exilkatholiken William Allen betrachten. Allen, ein ehemaliger Oxforder Universitätslehrer, emigrierte in den 60er Jahren nach Flandern. Er sah das Problem, daß es bald in England keinen Priesternachwuchs mehr geben werde, und gründete 1568 mit Unterstützung des Papstes und des Königs von Spanien in Douai im damaligen Flandern (heute Frankreich) ein katholisches englisches Kolleg, das sogenannte Collegium Anglicum. Diese Ausbildungsstätte bot eine geisteswissenschaftliche Grundausbildung unter katholischem Vorzeichen. Darauf aufbauend war das Priesterstudium möglich. Allens Kolleg war ausgesprochen beliebt und hatte rasch großen Zulauf. Die Söhne aus katholischen Bürger- und Adelsfamilien studierten auch deshalb dort, weil sie dem in Oxford und Cambridge geforderten Supremats-Eid aus dem Weg gehen wollten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das berühmte Beispiel des Thomas Morus, der unter Heinrich VIII. den Suprematseid verweigerte und zum Märtyrer wurde. Elisabeth I. hat die Supremats-Akte wieder in Kraft gesetzt. Elisabethanische Amtsträger, aber auch die Studierenden der beiden Universitäten, mußten diesen Eid schwören. Die katholischen Studierwilligen umgingen ihn, indem sie sich an Allens Kolleg einschrieben.
Shakespeare kam aus einem streng katholischen Elternhaus. Doch nicht nur seine Eltern und Verwandten, sondern auch seine Lehrer bekannten sich zum katholischen Glauben. Schulmeister Simon Hunt, von dem der Dichter vier Jahre lang unterrichtet wurde, trat sein Amt in Stratford just in dem Jahr an, als William 1571 sieben Jahre alt war und das Lateinschulalter erreicht hatte. Er ging 1575 nach Douai und wurde Priester. Der Stratforder Lateinschüler Robert Debdale, Shakespeares Schulkamerad, begleitete ihn und wurde gleichfalls Priester. Hunt ging anschließend nach Rom, wurde Jesuit und 1580, als die jesuitische Remissionierung Englands begann, Nachfolger von Robert Parsons im Amt des englischen Beichtvaters am Stuhl von St. Peter.

Es gibt einen Beleg dafür, daß John Shakespeare als Kämmerer von Stratford-upon-Avon u.a. Gelder an einen Hilfslehrer gezahlt hat, die nicht offiziell in den Büchern standen. Es gibt sogar Anhaltspunkte dafür, daß dieser Hilfslehrer mit William Allen identisch war.

Bei genauerer Betrachtung und Deutung der historisch-biographischen Details stellte ich fest, daß William Shakespeare praktisch nur an William Allens Collegium Anglicum studiert haben konnte. Denn nur dieses Kolleg bot 1578, als William 14 Jahre alt war und damit das College-Alter erreicht hatte, die einzige Studienmöglichkeit für junge englische Katholiken. Da der Dichter in jungen Jahren Schulmeister auf dem Lande war, nämlich - wie nun feststeht - in dem katholischen Adelshaushalt der Hoghtons in Lancashire, muß er ein College besucht haben. In Frage kommt daher nur Allens Kolleg in Doaui, das sich von 1578 bis 1593 in Reims befand.

Im Jahre 1578 verpfändete John Shakespeare einen großen Teil des Vermögens seiner Frau für 40 Pfund. Er brauchte also sehr schnell viel Bargeld. Dieses dürfte er für die kostspielige Ausbildung seines Sohnes auf dem Kontinent verwendet haben. Denn er hat in dieser Zeit keine größere Anschaffung getätigt, und die hohen gesetzlichen Kirchenstrafen (20 Pfund monatlich für das Fernbleiben vom anglikanischen Gottesdienst) fielen erst mit Inkrafttreten des antikatholischen Strafgesetzes von 1581 an. Letzteres war übrigens eine Reaktion der Regierung auf die 1580 begonnene jesuitische Missionsbewegung. 1578 lagen die Strafen noch bei wenigen Schillingen. John Shakespeare hätte dafür nicht einen so hohen Betrag an Bargeld aufnehmen müssen. Es verblüfft, daß er das Geld in der Zeit von 1578 bis 1580 benötigte, also genau für jene zwei Jahre, in denen Williams College-Ausbildung auf dem Kontinent stattgefunden haben muß. 1580 dürfte der Dichter bereits Privatlehrer im Haushalt der Hoghtons in Lancashire gewesen sein, wo er 1581 auch in der oben beschriebenen Funktion testamentarisch besonders hervorgehoben und bedacht wurde.
Es gibt noch einen weiteren wichtigen Punkt: 1580 mußten John Shakespeare und 140 weitere Bürger aus ganz England sich vor einem der drei höchsten Gerichte Englands verantworten und, mit entsprechenden Bürgschaften abgesichert, erklären, den Frieden gegenüber der Königin aufrecht zu erhalten. Bei diesen 140 Personen dürfte es sich um die Väter der Studierenden an Allens Kolleg in Reims gehandelt haben. Es war der englische Botschafter in Paris, der seiner Regierung damals geraten hatte, sich an den Eltern zu rächen, was dann wohl auch geschah. John Shakespeare hat es vorgezogen, nicht zu erscheinen. Ich habe während der Entstehungszeit meines Buches die Diarien von Douai durchgesehen und dabei festgestellt, daß es eine ganze Reihe von Namen gibt, die teilweise oder ganz ausgelöscht wurden. Mehrere Male wurde der Name Guielmus, der latinisierte Name für William, stehen gelassen und nur der Nachname gestrichen. Das betrifft die Jahre 1578 und 1580, in denen William angekommen und exmatrikuliert worden sein muß, es betrifft jedoch auch 1587, das Jahr unmittelbar vor der Armada.

Zwischen Allens Kolleg und den Hoghtons gab es sehr enge Verbindungen. Der Familienchef von Hoghton Tower war Emigrant, lebte in Flandern und war ein enger Freund von Kolleggründer William Allen. Die Vermittlung des jungen Shakespeare nach Lancashire hätte somit auch auf direktem Weg vom Studienort Reims nach Hoghton Tower erfolgen können.
Was hat er in Reims studiert? Der Dramatiker Ben Jonson meinte, Shakespeare habe die klassischen Sprachen nicht beherrscht.
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Ben Jonson hat sich über die angeblich geringen Latein- und Griechischkenntnisse Shakespeares lustig gemacht. Er spricht von “little Latine and lesse Greeke”. Doch hat Jonson niemals bestritten, daß Shakespeare Kenntnisse dieser alten Sprachen hatte. Griechisch aber wurde in der Lateinschule nicht gelehrt. Als Jonson dies sagte, lag Shakespeares Ausbildung viele Jahre zurück. Wichtig ist, daß Shakespeares Werk von akademischer Ausbildung und der Kenntnis der alten Sprachen zeugt. Da der Dichter aber nachweislich weder in Oxford noch in Cambridge studiert hat und Allens Kolleg bisher als Ausbildungsstätte nicht in Betracht gezogen wurde, kam man sogar auf die völlig aus der Luft gegriffene Vermutung, der Bürgersohn aus Stratford-upon-Avon könne das berühmte Werk nicht geschrieben haben.

Interessanterweise nennt Shakespeare in Der Widerspenstigen Zähmung den Studienort Reims, wo ein junger Scholar in Griechisch, Latein und in anderen Sprachen ausgebildet wurde. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf das dortige Collegium Anglicum, zumal es damals in Reims keine Universität gab. Shakespeare spricht hier allem Anschein nach aus eigener Erfahrung. Es ist zudem aufschlußreich, daß der Dichter mit der Nomenklatur der Klassen von Douai (bzw. Reims) vertraut war, und zwar mit den Namen der Klassen des geisteswissenschaftlichen Grundstudiums (“lower studies”), mit “Rudiments”, “Grammar”, “Syntax”, “Poetry” und “Rhetoric”, nicht aber mit denen der “higher studies” (Priesterstudium). Das Gros der Studierenden erhielt in Allens Kolleg lediglich eine geisteswissenschaftliche Grundausbildung. Die Idee, daß auch die katholischen Shakespeares ihren Sohn dort ausbilden ließen, liegt daher sehr nahe. Sie wird unterstützt durch die Bargeldbeschaffung John Shakespeares für genau jene zwei Jahre, die für Williams Ausbildung auf dem Kontinent in Frage kommen.

Und wie haben Sie die Frage der “lost years” gelöst?
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Es gibt sieben Jahre im Leben William Shakespeares (1585-1592), über die wir bisher rein gar nichts wußten und die daher die “lost years” genannt wurden. Ich nenne in meinem Buch eine Reihe von Motiven für Shakespeares Weggang, darunter die Existenz eines jesuitischen Testaments in seinem väterlichen Haus, das mit größten Gefahren verbunden war, die Verwandtschaft seiner Mutter mit den Beteiligten eines katholischen Komplotts, die Ausbildung seines Lateinschullehrers Simon Hunt zum katholischen Priester, Hunts Aufnahme in den Jesuitenorden und seinen Aufstieg zum Pönitentiar am Stuhl von St. Peter in Rom. Ferner das höchst wahrscheinliche Studium des Dichters am Collegium Anglicum, das sich zu dieser Zeit in Reims befand, Shakespeares illegale und geheime Tätigkeit als Lehrer und Beschützer der Priester bei den katholischen Hoghtons in Lancashire, seine mögliche Verbindung zu einer weiteren katholischen Rekusantenfamilie in Lancashire, den Heskeths. Auch der Ausbruch des Krieges zwischen England und Spanien im Jahre 1585 und die Tatsache, daß Stratford dem jungen Shakespeare wohl keine befriedigende Perspektive zu bieten hatte, könnten eine Rolle gespielt haben. Am wichtigsten aber war wohl, daß dem Dichter - als bezahltem Mitglied einer katholischen Geheimorganisation, die die jesuitischen Missionspriester schützte - der Boden unter den Füßen zu heiß wurde und daß jeglicher Kontakt zu den Jesuiten ab 1585 Hochverrat war.

Mir wurde - aufgrund dieser zahlreichen und sich verdichtenden Indizien - immer mehr klar, daß sich der junge Shakespeare in dieser gefährlichen Situation im Februar 1585 auf den Kontinent begeben hat, und zwar nach Reims und Rom, also dorthin, wo er Glaubensgenossen und Freunde hatte. In Rom - und das ist besonders signifikant - fand in diesem Jahr ein Treffen der englischen Exil- und Kryptokatholiken statt, auf dem neue (auch militärische) Strategien der Rekatholisierung Englands entwickelt wurden. Der friedliche Weg der Missionierung war durch die rigide antikatholische Gesetzgebung und die blutige Verfolgung der katholischen Priester praktisch gescheitert. Das Blatt hatte sich 1585 längst gewendet.

Rom hatte im übrigen für die Studierenden von Reims (bzw. Douai), auch die ehemaligen, eine ganz besondere Anziehungskraft. In Rom befanden sich überdies William Allen und Pater Robert Parsons. In St. Peter in Rom lebte und wirkte ferner - wie eingangs erwähnt - Shakespeares Stratforder Lehrer Simon Hunt als jesuitischer englischer Beichtvater.
Als das Buch bereits in der Drucklegungsphase war, habe ich mir eine ganz besonders wichtige historische Quelle in Rom im Original angesehen, und zwar eines der alten Pilgerbücher des dem Englischen Kolleg in Rom angeschlossenen Pilgerhospizes. Es handelte sich um Pilgerbuch Nr. 282 mit Einträgen aus der Zeit von 1580 bis 1656, also auch aus der Zeit der “verlorenen Jahre”. Dieses Hospiz war viel älter als das Kolleg selber. Es wurde bereits im frühen Mittelalter gegründet. Dort logierten praktisch alle englischen Pilger und Rom-Reisenden - auch Protestanten und Puritaner (wie etwa John Milton) sowie Spione der englischen Regierung. Bereits im März 2000 hatte ich Rom besucht und mir das gesamte Kolleg zeigen lassen. Die entscheidende Quelle aber konnte ich erst - nach längerer Voranmeldung - im Oktober 2000 einsehen. Zu meiner großen Überraschung fand ich dort bekannte und vertraute Namen, wie z.B. denjenigen des Gründers des Collegium Anglicum in Douai - William Allen - , denjenigen des Urenkels von Thomas Morus, Charles Bassett, der ein Mitglied der Catholic Association war. Ich fand ferner den Namen des abtrünnigen katholischen Priesters, der Maria Stuart später im Zusammenhang mit dem Babington-Komplott ans Messer lieferte: Anthony Tyrrell. Der Renegat Tyrrell verriet sein Wissen an William Cecil, Lord Burghley, den engsten Berater Königin Elisabeths I. Viele andere englische Rom-Reisende aber benutzten Pseudonyme, so wie sich auch zahlreiche Studierende an William Allens Kolleg in Douai bzw. Reims unter falschem Namen immatrikulierten. Es handelte sich dabei um Vorsichtsmaßnahmen, weil besonders die katholischen englischen Kollegien stark bespitzelt wurden.
Aufgrund der zahlreichen Indizien, die für einen Rom-Aufenthalt Shakespeares im Jahre 1585 sprachen, hatte ich gehofft, im Archiv des Collegium Anglicum in Rom eventuell einen winzig kleinen, wie auch immer gearteten Hinweis auf die Präsenz des Dichters an diesem Ort und in diesem Jahr finden zu können. Zu meiner großen Verblüffung fand ich in Pilgerbuch Nr. 282 sogar mehrere Einträge für die Zeit der “verlorenen Jahre”, die auf Shakespeare hindeuteten. Sie enthielten das höchst aufschlußreiche Pseudonym “Stratfordus”. Anfang Februar 1585 - nach der Geburt seiner Zwillinge - hatte William Shakespeare seine Heimatstadt Stratford fluchtartig verlassen. Die bekannte Erklärung, dies sei aus Furcht vor Strafe wegen Wilderns geschehen, war wohl nur ein Vorwand, um die oben genannten wahren Gründe zu verschleiern. Der Dichter ist dann erst wieder 1592 nachweisbar, und zwar als beneideter Bühnenautor in London.

Rund 8 Wochen nach Shakespeares Weggang aus Stratford, nämlich am 16. April 1585 gregorianischer Zeitrechnung, ließ sich im Pilgerbuch des Englischen Kollegs in Rom ein gewisser “Arthurus Stratfordus Wigorniensis” eintragen. Dies war für mich ein deutlicher Hinweis auf Shakespeare. Der Dichter, der stets eine besondere Beziehung zu der Stadt hatte, in der er geboren wurde, hatte den Namen seiner geliebten Heimatstadt Stratford, die damals praktisch unbekannt war, als Pseudonym benutzt. Völlig korrekt gab er als Diözese Worcester an und als Vornamen keinen geringeren als den des legendären Königs der englischen Vorgeschichte: Arthur. Mein weiterer Fund stammt aus dem Jahr 1587 und war ein Blending: “Shfordus Cestrensis”. Das “Sh” stand offenbar für Shakespeare und “fordus” als Backclipping für Stratfordus. “Cestrensis” war übrigens der Name der Diözese Chester, zu der die Grafschaft Lancashire gehörte, in der der Dichter von 1580 bis 1582 sein erstes zweijähriges berufliches Engagement im englischen Kryptokatholizismus hatte. Der dritte von mir aufgespürte Eintrag fand sich unter 1589 und lautete: “Gulielmus Clerkue Stratfordiensis”, im Klartext “William, Sekretär aus Stratford”. Ich war verblüfft. Denn dies war ein noch deutlicherer Hinweis auf Shakespeare. Der Besucher aus Stratford, der wenige Jahre später große Berühmtheit erlangen sollte, hatte diesmal nicht nur den Namen seiner Heimatstadt, sondern sogar seinen richtigen Vornamen angegeben und darüber hinaus die Funktion angedeutet, die er damals ausübte. Er war in regelmäßigen Abständen von jeweils zwei Jahren nach Rom gekommen: 1585, 1587 und 1589. Unter 1591 fand ich eine stark beschädigte Seite mit einer ganzen Reihe von runden Löchern und einer Stelle, an der - offenbar schon vor Jahrhunderten - ein ganzer Eintrag komplett mit der Feder herausgestochen worden war. Natürlich läßt sich heute wohl nicht mehr feststellen, welcher Name dort einmal gestanden hat. 1591 ist aber das letzte in den “lost years” in Frage kommende Jahr für einen Rom-Aufenthalt Shakespeares, legt man erneut ein Intervall von zwei Jahren zugrunde.

Für die ungewöhnlich radikale Maßnahme der Namensentfernung muß es einen gewichtigen Grund gegeben haben. Daß es sich um einen Akt der damnatio memoriae, also der Auslöschung der Erinnerung an eine bestimmte Person, durch die Kollegleitung gehandelt haben könnte, ist eher unwahrscheinlich. Denn selbst der Name des abtrünnigen Priesters Tyrrell blieb - wie bereits erwähnt - voll erhalten. Sollte dieser Eintrag (gleichfalls) einen mehr oder weniger deutlichen Hinweis auf Shakespeare enthalten haben, hätte sich vielmehr ein späterer (protestantischer bzw. puritanischer) Besucher, dem Shakespeares Katholizismus ein Dorn im Auge war, zu einem solchen Schritt hinreißen lassen können. Einer der größten Verehrer Shakespeares in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war der Puritaner John Milton. Er war 1638/39 in Italien und in Rom und hat nachweislich im Pilgerhospiz des Englischen Kollegs logiert und diniert, wobei er den englischen Jesuiten durch seine Ausführungen zum Thema Religion unangenehm auffiel. Milton könnte somit als Verursacher der Beschädigung in Frage kommen. Das aber ist nur eine Hypothese, wenngleich eine sehr reizvolle.

Hinsichtlich der übrigen drei Einträge, deren signifikantes Merkmal der vollständige oder angedeutete Name der Stadt Stratford ist und die exakt in die Zeit der “verlorenen Jahre” fallen, dürfte es sich aber wohl kaum um merkwürdige Zufälle handeln, sondern eher um Bestätigungen dafür, daß William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon in dieser bisher völlig dunkel gebliebenen Phase seines Lebens Rom tatsächlich mehrfach besucht hat. Genau darauf hatten alle zuvor von mir zusammengetragenen Indizien hingedeutet. Bezeichnenderweise taucht das Pseudonym “Stratfordus” nur in den “lost years” und im Jahre 1613 auf. Diese Belege aus einer erstrangigen historischen Quelle, die den Ort 400 Jahre lang nicht verlassen hat, fügen sich somit absolut stimmig und plausibel in die Vita William Shakespeares ein.

Das Jahr 1613 markiert im Leben Shakespeares eine Wende. In diesem Jahr regelte der Dramatiker seine Londoner Angelegenheiten und zog sich daraufhin wohl endgültig nach Stratford zurück. Das erneute und letztmalige Auftauchen des Pseudonyms “Stratfordus” im Pilgerbuch des Englischen Kollegs in Rom läßt sich nun als Indiz dafür deuten, daß der Dramatiker am Ende seiner glanzvollen und ruhmreichen beruflichen Karriere abschließend noch einmal nach Rom gereist ist, wobei er wiederum den Namen seiner Heimatstadt als Tarnung benutzte. Als Vornamen wählte er diesmal “Ricardus” - offensichtlich zum Gedenken an seinen am 4. Februar 1613 in Stratford beerdigten Bruder Richard, ein Name, der im übrigen auch der Vorname seines väterlichen Großvaters war.

Damit stand für mich fest, in welchen Kreisen sich William Shakespeare in den sieben “lost years” aufgehalten hatte. Auf welche Weise er seinen Horizont erweitern konnte. Wo er seine geografischen Kenntnisse erwerben konnte.

Viele Stellen im Werk Shakespeares lassen sich nun ganz anders lesen und deuten. Der Dichter kannte die Geographie Ober- und Mittelitaliens sehr genau. Er kannt auch die damals übliche Praxis des Geldwechsels in Florenz. Dies zeigt eine Textstelle in Der Widerspenstigen Zähmung (The Taming of the Shrew). Ein Reisender aus Mantua, der in Florenz Geld gewechselt hat, macht in Padua Station und erklärt, Padua sei sein Ziel nur für einige Wochen. Dann werde er weiter nach Rom reisen. Da es für einen elisabethanischen Autor aber wegen der strengen Zensur gefährlich war, Rom zu kennen oder auch nur zu nennen, läßt Shakespeare seinen Reisenden eher unmotiviert nachschieben, von Rom werde er nach Tripolis weiterreisen. Welches Tripolis auch immer gemeint war, es war unverdächtig.

Auch die englischen Jesuiten, Weltgeistlichen und Studierenden des Collegium Anglicum in Douai bzw. Reims reisten bzw. pilgerten zu Wasser und zu Lande nach Rom, und zwar über Paris und Lyon nach Marseille, von dort mit dem Segelschiff nach Genua, dann über Florenz und Siena nach Rom. Wie die Quellen berichten, rissen sich die jungen Priester und Studenten des Kollegs geradzu darum, nach Rom reisen zu dürfen.

Sie haben noch einen weiteren entscheidenden Beleg für Shakespeares Katholizismus gefunden und dafür, daß der Dichter sogar einen wesentlichen Beitrag zum Überleben seiner unterdrückten Religion geleistet hat. Worum handelt es sich bei diesem Beleg?
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Ich habe tatsächlich noch einen zusätzlichen dokumentarischen Beleg für Shakespeares Katholizismus aufgefunden, der bisher in seiner eigentlichen Bedeutung übersehen wurde. Dieses historische Zeugnis zeigt überdies, wenn man es richtig befragt, daß der Dichter mit erheblichen finanziellen Eigenmitteln zum Fortbestand der alten Religion beigetragen hat. Im März 1613 kaufte er für insgesamt 140 Pfund das östliche Torhaus der alten Klosteranlage Blackfriars in London. Für sein repräsentatives Anwesen New Place in Stratford hatte Shakespeare 1597 60 Pfund gezahlt. Wie bereits erwähnt, regelte er 1613 seine Angelegenheiten in London, um sich endgültig nach Stratford zurückziehen zu können. Seine Investitionen in Haus- und Grundbesitz hat Shakespeare stets in Stratford getätigt. Der Erwerb des Torhauses in London stellt eine große Ausnahme dar. Weder der Dichter noch seine Familie haben - soweit bekannt - jemals in diesem Haus gewohnt. Ungewöhnlich und zugleich aufschlußreich ist die Art und Weise des Erwerbs: Der Hauskauf in Blackfriars erfolgte zusammen mit drei Treuhändern, die dafür Sorge trugen, daß der Zweck der Erwerbung auch über den Tod Shakespeares hinaus erfüllt wurde. Worin aber bestand dieser Zweck?

Ich habe mir den Kaufvertrag, die überlieferten Beschreibungen des Gebäudes und vor allem auch seine Nutzung durch die Vorbesitzer sehr genau angesehen. Dieses Torhaus war, als Shakespeare es kaufte, bereits seit Jahrzehnten die Anlaufstelle für flüchtige katholische Priester. Dort fanden sie Unterschlupf, und es wurde für ihre Verpflegung gesorgt. Von dort aus gelangten sie an die Anlegestelle an der Themse und konnten per Boot und Schiff auf den Kontinent entkommen. Shakespeare hat erhebliche Vermögenswerte in dieses Objekt gesteckt und auf diese Weise dafür gesorgt, daß es auch in Zukunft demselben Zweck dienen konnte. Wie seine Vorbesitzer hatte auch er einen Pächter. Von den früheren Pächtern wissen wir, daß sie unter Lebensgefahr die notleidenden katholischen Priester beherbergten und ihnen zur Flucht verhalfen.

In der Retrospektive zeigt sich, daß das ganze glänzend arbeitsteilig organisiert war. Die Treuhänder waren William Johnson, Eigentümer der berühmten Mermaid Tavern in London, John Jackson, Schiffsmagnat, und John Heminge, Business-Manager der Shakespeareschen Theatertruppe. Shakespeare konnte für Unterkunft, Schutz und Fluchthilfe der Priester sorgen, Johnson für ihre Verpflegung und Jackson für ihren Transport außer Landes. Heminge dürfte alles dies organisiert und koordiniert haben. Das rund 200 Meter von Shakespeares Torhaus entfernte Blackfriars Theatre konnte zudem Perücken, falsche Bärte und Kostüme stellen.

Shakespeares Haus in Blackfriars war der vielleicht wichtigste Stützpunkt des englischen Kryptokatholizismus in England. Von dort gab es eine direkte Verbindung zu Parsons’ Jesuitenkolleg in St. Omer, südlich von Calais, das als kontinentaler Brückenkopf diente. Wir haben es daher mit einer der bedeutendsten Organisationsformen des englischen Kryptokatholizismus zu tun. Shakespeare, der dafür große Teile seines Vermögens einsetzte, hat auf diese Art und Weise entscheidend zum Überleben der gesetzlich verbotenen und verfolgten alten Religion beigetragen. Nach der Pulververschwörung (1605) fand John Gerard - er war nach dem Superior Henry Garnett der bedeutendste Jesuit Englands - im östlichen Torhaus von Blackfriars Unterschlupf und konnte so seinen Häschern entkommen. Garnett aber wurde ergriffen und nach einem großen Schauprozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Der urkundlich belegte Hauskauf Shakespeares in Blackfriars ist der bisher wichtigste dokumentarische Beleg dafür, daß der Dichter - wie schon in seiner Jugend - auch gegen Ende seines Lebens konkrete und bedeutende Maßnahmen zum Schutz katholischer Priester und zum Fortbestand des in seiner Existenz bedrohten englischen Katholizismus getroffen hat, wobei er nicht nur sein Leben riskierte, sondern auch das seiner Familienangehörigen.
Sieben Jahre nach Shakespeares Tod kam es in einem Torhaus von Blackfriars bei einem Deckeneinsturz zu einem schweren Unglück. Es handelte sich - wie ich in Zusammenarbeit mit einem Architekten herausgefunden habe - um das nördliche Torhaus der ehemaligen Klosteranlage. Das 3. Stockwerk dieses Gebäudes wurde heimlich als katholische Kirche genutzt. Während eines sonntäglichen Gottesdienstes, bei dem die Menschen dicht gedrängt standen, brach die Decke ein, durchschlug die darunterliegende Decke und stürzte auf das Torgewölbe. Rund einhundert Menschen starben. Ein antikatholischer Anschlag konnte weder bestätigt noch ausgeschlossen werden.

Auf einem zeitgenössischen Stich und einem Gemälde der Shakespearezeit konnte ich dieses Torhaus identifizieren. Der Stich stammt aus dem Jahre 1588 und zeigt im Vordergrund Elisabeth I. mit ihrem Gefolge auf dem Weg nach St. Paul’s, wo anläßlich des englischen Siegs über die Armada ein Dankgottesdienst stattfand. An den Fenstern in der ersten Etage befinden sich zahlreiche vornehm gekleidete Menschen, die den Zug der Königin beobachten. An den Fenstern der oberen Stockwerke aber ist bezeichnenderweise niemand, der den Zug beobachtet. In der belle étage residierte der französische Botschafter, der einen Geheimzugang zu dieser Kirche hatte und der natürlich auch eine Schutzfunktion ausübte.
Durch die Katastrophe von Blackfriars im Jahre 1623 war ans Tageslicht gekommen, daß auch das nördliche Torhaus im Dienst des englischen Krypto-Katholizismus stand und nicht nur eine katholische Kirche, sondern auch ein katholisches Seelsorgezentrum beherbergte. Zu dieser Zeit dürfte das östliche Torhaus, in das William Shakespeare große Vermögensteile gesteckt hatte, noch im Besitz seiner Familie gewesen sein. Seine Tochter Susanna Hall hatte 1618 - offensichtlich einvernehmlich mit den alten Treuhändern - die Treuhänderschaft in andere Händer übergehen lassen. Shakespeares Verfügungen wurden somit auch nach seinem Tod erfüllt.

Einer katholischen Tradition zufolge wurde der Dichter an seinem Sterbebett von einem Benediktiner betreut. Vieles spricht dafür, daß er auch in seinem vornehmen Anwesen New Place in Stratford Priester beherbergt hat. Unmittelbar nach dem Erwerb dieses ehemaligen Adelshauses nahm Shakespeare bauliche Veränderungen vor. Den Rest der Steine verkaufte er an die Stadt. Es ist bekannt, daß der elisabethanische Landadel Umbaumaßnahmen in der Regel dazu nutzte, geheime und gut getarnte Priesterverstecke einzurichten. Viele dieser “Priesterlöcher” (“priest holes”) wurden erst sehr viel später in der überkommenden Bausubstanz entdeckt und identifiziert. Im Falle von New Place war dies nicht möglich. Ein protestantischer Geistlicher, der das große repräsentative Gebäude im 18. Jahrhundert erworben hatte, ließ es schon nach wenigen Monate niederreißen - angeblich deshalb, weil er sich von Touristen belästigt fühlte, die Shakespeares Haus zu sehen wünschten. Der angegebene Grund aber dürfte nur ein Vorwand gewesen sein. Der protestantische Geistliche könnte im Hause Shakespeares, der zu dieser Zeit bereits als (protestantischer) Nationalheros verehrt wurde, auf etwas gestoßen sein, das den Dichter als Anhänger des katholischen Glaubens auswies.

Warum wurde Shakespeare Schauspieler und Dramatiker, wenn er als überzeugter Katholik helfen wollte?
HAMMERSCHMIDT-HUMMEL: Das war seine Begabung. Er ist ja auch nicht Priester geworden. Er hat ganz offensichtlich in Reims - wie viele andere junge englische Katholiken -lediglich die geisteswissenschaftliche Grundausbildung erhalten. Das Konzept an Allens Kolleg war jesuitisch orientiert. Wie bei der jesuitischen Ausbildung standen Theater und Rhetorik im Zentrum. Und: Man schrieb und spielte Historiendramen, die stets ein moralisch-didaktisches Anliegen hatten. Das war der entscheidende Punkt. Die Geschichte lieferte sozusagen die Beispiele, abschreckende oder nachzuahmende, aus denen Lehren für die Gegenwart gezogen werden sollten. Solche Absichten verfolgte auch Shakespeare mit seinen Historiendramen. So ließen die Verschwörer am Vorabend der Essex-Rebellion (1601) Shakespeares Historie Richard II. aufführen. Richard hatte

seine königlichen Pflichten eklatant verletzt und wurde daher abgesetzt. Elisabeth I. sollte mit diesem Stück der Spiegel vorgehalten werden. Ihr wurde herrscherliche Pflichtverletzung vorgeworfen, weil sie es versäumt hatte, ihre Nachfolge zu regeln.

Shakespeare Dramen aber vermitteln auch hohe moralische Werte - und ein Weltbild, das katholisch geprägt ist. Doch macht sich der Dramatiker keineswegs zum Sprachrohr des Katholizismus. Aber katholische Priester, Mönche und Nonnen werden positiv erwähnt. In den Sonetten finden sich verhaltene Klagen über die Ruinen der ehemals blühenden Klöster. Darin äußert sich Kritik an der Zerstörung der englischen Klosterkultur durch Heinrich VIII., der den Bruch mit Rom vollzog, den seine Tochter Elisabeth I. kurz nach ihrem Regierungsantritt erneuerte und festigte. In Shakespeares Weltbild spielt - wie bei keinem anderen Dramatiker seiner Zeit - die göttliche Gnade eine ungewöhnlich große Rolle. In dem bewegenden Monolog der Portia im Kaufmann von Venedig (The Merchant of Venice) heißt es:

Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang.
Sie träufelt, wie des Himmels milder Regen,
Zur Erde unter ihr, zwiefach gesegnet:
Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt;
Am mächtigsten in Mächt’gen, zieret sie
Den Fürsten auf dem Thron mehr als die Krone;
Das Zepter zeigt die weltliche Gewalt,
Das Attribut der Würd’ und Majestät,
Worin die Furcht und Scheu der Kön’ge sitzt.
Doch Gnad’ ist über dieser Zeptermacht,
Sie thronet in dem Herzen der Monarchen,
Sie ist ein Attribut der Gottheit selbst,
Und ird’sche Macht kommt göttlicher am nächsten,
Wenn Gnade bei dem Recht steht; [...]
wir beten all’ um Gnade,
Und dies Gebet muß uns der Gnade Taten
Auch üben lehren.

Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.”

Mit 5 Abbildungen: (1) Porträt der Autorin, (2) Das sogenannte Flower-Porträt William Shakespeares von 1609 ist über ein Madonnenbild aus dem 15. Jahrhundert gemalt, (3) Ansicht von Hoghton Tower in Lancashire (Ausschnitt), (4) Das englische Kolleg in St.-Omer (südlich von Calais) wurde 1593 von Robert Parsons gegründet, (5) Elisabeth I. auf dem Weg zur Siegesfeier, im Hintergrund das Torhaus mit dem geheimen Versammlungsraum der Katholiken.

[Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Dr. Böttiger Verlags-GmbH, Bahnstr. 9a, 65205 Wiesbaden, Telefon: 0611/77861-0, Fax: 0611/77861-18, E-mail: ibykus@solidaritaet.com]


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